Solarbetriebene Leidenschaft
Solarbetriebene Leidenschaft
Bereits seit über zehn Jahren ist das Solarschiff Thun auf dem See anzutreffen. Dabei handelt es sich um eine Herzensangelegenheit der Familie Charrois, die das Schiff selbst gebaut und stetig weiterentwickelt hat und nun eine breite Palette von Angeboten vorweisen kann. Was sich heute so vielfältig präsentiert, hat seine Motivation in etwas Simplem: mangelnder Seesicht.
Text: David Heinen Fotos: zvg
So können wir uns also freuen – bald ist das «Spiezerli» wieder auf dem Thunersee unterwegs. Auf der Website www.spiezerli.ch können Sie sich über den Zeitplan informieren und zusätzliche spannende Informationen zum Dampfer nachlesen. Ausserdem besteht auch immer noch die Möglichkeit, sich durch eine Spende am Projekt zu beteiligen – jeder Franken kann gebraucht werden. Es steht der Thunerseeregion sicherlich gut zu Gesicht, dass ein solches Stück Schifffahrts- und auch Tourismusgeschichte gepflegt wird und nicht finanziellen Überlegungen geopfert wurde. Gute Fahrt!
Die Idee, ein Solarschiff zu bauen und zu betreiben, ging von Rahel und Matthias Charrois aus. Diese hatten in Leissigen ein Haus mit schöner Seesicht; dann wurde allerdings ein grösseres Haus da- vor gebaut, und es entstand der Wunsch, ein Schiff zu kaufen, um dem See wieder näher zu sein. Nach einigem Suchen begegnete Matthias Charrois ein äusserst abgewrack- ter Rumpf beziehungsweise zwei Schwimmer mit Boden. Es war zwar in einem desolaten Zustand, doch er nahm es mit nach Hause, da alles aus Chromstahl bestand und die Besitzer nicht einmal den Stahl- preis dafür verlangten. Als sein Sohn Johannes Charrois daraufhin das Ganze zum ersten Mal sah, meinte er gleich, dass es allein vom Raumkonzept her zu gross sei, um damit zu zweit gemütlich auf dem See zu tuckern. Das Projekt musste grösser gedacht werden, und so entstand die Idee, ein Eventboot zu entwickeln. Johannes und Matthias Charrois begannen zu tüfteln und investierten ein halbes Jahr in einen ersten Prototyp, mit dem auch bald darauf im Jahr 2011 die erste Saison als Charterschiff gefahren wurde. Damals hatte das Schiff noch ein Wellblechdach mit Campingsolarpanels – alles noch ziemlich improvisiert –, doch das Schiff fuhr. Winter für Winter wurde weiter am Prototyp geschraubt und dieser zusätzlich verbessert, und heute steht ein technisch voll ausgereiftes Boot da. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass in der Familie eigentlich keine Erfahrung bezüglich Schiffbau vorhanden war.
Koordiniert unvorbereiter
Die Charrois stammen aus Wengen, und es war lange kein Kontakt zum Wasser vorhanden. Die Familie lebte dort in einem alten Bauernhaus, und bereits als kleiner Junge half Johannes Charrois seinem Vater bei der Renovierung des Gebäudes. Sie verfolgten den Grundsatz, dass sie professionelle Geräte beschaffen und Schritt für Schritt lernen, damit umzugehen. Auf diesem Weg passierten zwar immer wieder Fehler, doch am Schluss beherrschten sie die Materie und hatten zusammen etwas Eigenes geschaffen. Und falls nötig holten sie sich jeweils Unterstützung von Expertinnen und Experten. Auf diese Weise wurde auch das Unterfangen Solarschiff angegangen. Es ist ein genuines Vater-Sohn-Projekt, das aus Leidenschaft entstanden ist und genauso leidenschaftlich betrieben wird. Inzwischen beschreibt man es aber wohl besser als Familienprojekt, schliesslich ist Rahel Charrois für die ganze Dekoration zuständig, und der zweite Sohn Simon, ein ausgebildeter Koch, hilft manchmal beim Catering aus. Johannes und Matthias Charrois sind neben anderen Aufgaben beide als Kapitäne tätig, dabei werden sie von Andreas Habegger und Ruedi Niederhauser unterstützt, die beide zusätzliche Fahrten übernehmen. Doch bis es so weit war, mussten einige Hürden genommen werden. Gerade weil Johannes Charrois und sein Vater die Tendenz haben, sich etwas unvorbereitet in neue Projekte zu stürzen, war so ziemlich alles unvorhergesehen. Wenn sie zum Beispiel gewusst hätten, was es eigentlich alles mit sich bringt, eine Bewilligung zu erhalten, hätten sie das Projekt wohl gar nicht erst in Angriff genommen. Zudem war das Vorhaben auch viel teurer als erwartet, und sie mussten viel mehr Zeit investieren, als sie ursprünglich eingeplant hatten. Die zahlreichen Behördengänge wurden dadurch erschwert, dass es für vieles keine Entsprechungen gab, da es sich um ein einzigartiges Projekt handelt. So fehlten vor zehn Jahren zum Teil noch fixe Richtlinien für Solarschiffe auf dem Thunersee. Auch hatte niemand in ihrem Team die betriebswirtschaftliche Expertise für ein solches Unterfangen. Doch immer erhielten sie zur richtigen Zeit von der richtigen Person Unterstützung. Beispielsweise kam Johannes Charrois mit einer Passagierin ins Gespräch, die gerade pensioniert wurde und ihr Leben lang in der Buchhaltung gearbeitet hatte. Daraufhin erklärte sie sich spontan dazu bereit, für das Solarschiff Thun die Buchhaltung zu übernehmen. Dafür darf sie zweimal pro Jahr das Schiff gratis chartern.
«Das Solarschiff Thun ist also alles andere als ein durchschnittliches Boot – in dieser Form gibt es ein solches Schiff sonst nirgends.»
Ruhig und ohne Gestank den See geniessen
für gab es hauptsächlich zwei motivierende Aspekte. Einerseits war da die technische Herausforderung: Einen Verbrennungsmotor zu montieren, ist vergleichsweise einfach, da bot ein solarbetriebenes Schiff mehr Möglichkeiten, sich technisch auszutoben. Anderseits zählte der ökologische Aspekt. Klassische Verbrennungsmotoren verursachen umweltschädliche und schlecht riechende Emissionen – Diesel stinkt. Und solche Motoren sind sowohl auf wie auch neben dem Schiff sehr laut. Zudem sind Verbrennungsmotoren für die Flora und Fauna sehr schädlich, man trifft auf dem Thunersee immer wieder Ölspuren an. Ein neues System, bei dem man auf nichts verzichten muss, das aber die Umwelt schont, ist also eine schöne Alternative. Inzwischen ist das Schiff vollständig autark: Die ganze Energie, die benötigt wird, wird von den Solarzellen auf dem Bootsdach generiert und in Batterien zwischengespeichert, damit eine Reserve vorhanden ist, falls die Sonne nicht scheint. Das Dach ist immer frei, das heisst, sobald Tageslicht vorhanden ist, lädt sich die Batterie auf.
Der ganze Einsatz zahlt sich mittlerweile aus, und die Familie Charrois kann ihr Angebot Schritt für Schritt erweitern. Dieses besteht inzwischen aus drei Standbeinen: Seit 2011 gibt es das erwähnte Charterangebot, bei dem das Schiff für die unterschiedlichsten Anlässe gemietet werden kann. Dabei wird das ganze Schiff plus Kapitän zur Verfügung gestellt, wobei Dauer und Route völlig flexibel sind. Seit 2017 führt die Familie im Auftrag der Stadt Thun zudem einen Shuttlebetrieb, das heisst, dass sie im Sommer samstags und sonntags fahrplanmässige Rundfahrten anbieten, wobei eine festgelegte Strecke abgefahren wird. Hierfür können keine Reservationen gemacht werden. Das dritte Standbein sind die Events; damit haben sie dieses Jahr neu begonnen. So bieten sie beispielsweise Brunchfahrten, eine Fiesta de Taco oder Early-Bird-Fahrten frühmorgens mit Kaffee und Gipfeli an. Bei den Events können dann auch einzelne Plätze gebucht werden. Auf das Schiff dürfen jeweils zwölf Gäste und zwei Crewmitglieder. Es sind also nie mehr als 14 Personen auf dem Schiff. Beim Rundkurs gehört noch ein Matrose zur Crew, der beim Anlegen, Ablegen, Einkassieren usw. mithilft. Bei den Charterfahrten sind jeweils auch Serviceangestellte oder jemand für die Küche an Bord. Man kann aber auch selbst etwas mitbringen oder die eigene Wurst grillieren – je nach Anlass.
Das Solarschiff Thun ist also alles andere als ein durchschnittliches Boot – in dieser Form gibt es ein solches Schiff sonst nirgends. Es ist dabei keine gestylte Jacht, sondern ein Ort, der lebt und Ecken und Kanten hat. Gerade das macht den Charme des Solarschiffs aus.