Edith Klopfenstein: Die Thunerseefischerin
Edith Klopfenstein: Die Thunerseefischerin
Edith Klopfenstein wollte nicht immer Fischerin werden. Erst durch ihren Mann ist sie auf den Geschmack des Fischens gekommen. Aber auch dabeigeblieben, und das seit 35 Jahren.
Text und Fotos: Rosemarie Schenk
Ich treffe Edith Klopfenstein bei ihr in der Fischerei in Faulensee. Sie ist gerade dabei, die Netze zu entwirren, welche am Morgen reingeholt wurden. Gerade zu Beginn bietet sie mir das «Du» an. Edith ist erst nach der Pensionierung ihres Mannes Kurt zur eigentlichen Berufsfischerin geworden, obwohl sie vorher natürlich auch mitgeholfen hat beim Fischen. Schon seit über 30 Jahren. Gelernt hat sie Bäckerin/Konditorin: Bei der Lebensmittelproduktion ist sie geblieben, auch das frühe Aufstehen ist bei beiden Jobs ähnlich, aber die Temperaturen im Winter auf dem See waren schon Gewöhnungssache. Seit der Pensionierung ihres Mannes ist Edith nun Berufsfischerin, die einzige Frau auf dem Thunersee in diesem Metier. Natürlich kommt ihr Mann auch häufig noch mit raus. Besonders wenn es windig ist, gehen viele Dinge auf dem Boot auch besser mit vier Händen.
Der frühe Vogel fängt den Fisch
Die eigentliche Arbeit auf dem See ist relativ kurz. Abends werden die Netze ausgeworfen, am Morgen wieder reingeholt. Das Auswerfen und Einholen der Netzte muss gut getimt sein, denn wirft man sie zu früh aus, kommen neugierige Hobby-Böötler auf die Idee, ihre Boote mit den spitzen Motorenturbinen zu nah an die Netze heranzufahren. Holt man sie zu spät ein, sind schon die ersten Hobbyfischer oder Linienkähne unterwegs, welchen die Netze in die Quere kommen. Es ist auch schon vorgekommen, dass die ganze Beute einer Nacht einfach so gestohlen wurde. Um diesem vorzubeugen, beginnt der Tag der Fischerin jeweils so um das «Tagä», beim ersten Licht. Manchmal sogar noch ein wenig früher, falls auch noch Räucherfisch auf dem Tagesplan steht. Nur bei schlechtem Wetter kann man ein wenig später hinaus, verrät sie mir.
Nachdem die Netze eingeholt sind, geht es zurück an Land. Es wird jetzt erst mal ausgeladen. Zuerst die Fische, denn diese müssen so frisch verarbeitet werden wie nur möglich. Die Fische werden gewogen, gezählt und geschuppt. Auf die Waage kommen sie unter anderem für Statistiken, die der Kanton Bern erhebt, aber auch Edith findet das eigentlich keine schlechte Idee, schliesslich sieht man so, wie die Fische «zwäg» sind, und es ist doch auch gut zu wissen, womit man arbeitet. Der grösste Teil des gefangenen Fisches sind Felchen. Dies ist ein pflegeleichter Fisch, der vielseitig genutzt werden kann.
Nach dem Schuppen werden die Bauchflosse und die Innereien entfernt. Das passiert noch von Hand, gerade bevor die Fische in die Filetiermaschine kommen. Ganze Fische müssen am Tag zuvor telefonisch vorbestellt werden, ansonsten wird der ganze Fang filetiert. Nach dem Filetieren werden die Bauchgräten von Hand entfernt. Das sei schnell gemacht, mit so viel Übung, sagt Edith.
Wie der restliche Tagesablauf der Fischerin aussieht, liegt ganz daran, was es zu tun gibt. Manchmal wird zusätzlich Fisch geräuchert, manchmal ist das Wetter so schlecht oder die Netze sind so weit weg, dass alles etwas länger dauert, doch meistens ist man gegen Mittag mit dem Entwirren der Netze fertig. Nebenbei wird auch immer wieder Fisch «über d Gass» verkauft. Die Nachmittage hält sie sich, wenn möglich, offen, denn es gibt auch ausser Hause immer etwas zu tun. Zurzeit liefert Edith auch Fisch an drei Hotels in der Umgebung, nämlich an die Möve in Faulensee sowie das Strandhotel Belvédère und den Seegarten in Spiez. «Aber wenn wir in der Fischerei sind, dann ist es natürlich auch möglich, Fisch zu kaufen. Wenn wir was haben, dann geben wir gerne.» «Kommen da viele Passanten?», frage ich mit Blick auf das eher ruhige Dorf Faulensee. «Je nachdem… gestern zum Beispiel, sind sehr wenige gekommen, obwohl es Donnerstag war.» Klar, man würde auch erwarten, dass donnerstags mehr Fisch verkauft würde. «Heute sind dafür mehr gekommen als normalerweise, vielleicht spontan, weil sie plötzlich doch gemerkt haben, dass es ja Freitag ist», schmunzelt sie.
Die Fischerei
«Was fängt man denn so an einem guten Tag?», frage ich naiv. Edith lacht. Die letzten Jahre waren die Erträge schon sehr niedrig. In den 14 Tagen vor meinem Treffen mit ihr waren bereits 80 Stück ein sehr guter Fang. «Wenn man wirklich einen Lohn sehen möchte, dann geht man besser einem anderen Beruf nach», verrät sie mir. «Wir haben bereits die gesamte Einrichtung und das Equipment, die Fischerei ist für uns kein Muss, da wir das finanziell abgedeckt haben. Aber für jemand junges, der damit anfangen möchte, speziell mit Familienplänen, wäre das gar nicht möglich.» Die Saison wird immer kürzer und der See immer nährstoffärmer. Denn nur wenn es etwas zu fressen gibt, gehen die Fische «spazieren». Daher werden im Winter meist nur Grundnetze verwendet, da sich dann die Fische nicht so viel bewegen und wenn, dann am Boden. «Es ist eine Menge Herzblut dabei, wenn man Fischer wird. Man muss bereit sein, viel mehr zu arbeiten, als wenn man sonst angestellt wäre. Es gibt keine normalen Arbeitszeiten oder einen Feierabend, sondern man muss bereit sein, einfach dann zu arbeiten, wenn man kann.»
Die Saison wird immer kürzer und der See immer nährstoffärmer. Denn nur wenn es etwas zu fressen gibt, gehen die Fische «spazieren»
Die Fische
Gefischt wird mit Schwebe- oder Bodennetzen. Das kann man sich wie folgt vorstellen: Netze haben am unteren Ende eine Bleischnur, das «Unterähri», welche das Netz gegen unten beschwert und aufhält. Am oberen Ende befindet sich eine Schnur mit Schwimmkörpern, die das Netz oben halten. An beiden Enden des um die 100 Meter langen Netzes befinden sich weitere Schwimmkörper, die je nach Fischer unterschiedlich aussehen. So können sie ihre Netze unterscheiden. Alle Fischer könne den ganzen See nutzen, man spricht sich aber schon ab und weicht aus, wenn nötig.
Die Fischer des Thunersees, es sind noch ganze fünf, kennen sich gegenseitig. Man respektiert sich und hilft aus. Alle kennen das Problem mit den schwindenden Fängen. «Wir haben einen sehr schönen Kontakt untereinander. Ich sage nie, die anderen sind meine Konkurrenz, das sind Berufskollegen.» Gerade in letzter Zeit hat Edith auch einem Kollegen ausgeholfen, der wegen eines Unfalls nicht auf den See konnte, so hat sie die Lieferung für eines «seiner» Hotels übernommen. Man geht auch nicht dort Fischen, wo ein Kollege schon ein Netz ausgeworfen hat. Und man muss wissen, auf welcher Tiefe er fischt, falls man in der Nähe das Netz auswerfen will. «Sonst kann es wegen der Strömung zu wüsten Verwirrungen kommen. Das gibt eine wüste ‹Chosete› und da ist niemandem gedient.»
Ausserdem ist Edith zurzeit die Einzige, die selbst auch noch Räucherfisch herstellt, daher räuchert sie auch für andere Fischer auf dem See. Das Räuchern ist ein zeitaufwändiger Prozess. Es passiert in einem Räucherofen mit dreierlei Hitze: Sägemehl für den Rauch, Gas, um auf Temperaturen zu kommen, und Elektrizität, um die Temperatur über längere Zeit halten zu können.
Es kann auch kalt geräuchert werden, dies ist jedoch den Sommer über fast nicht möglich. Die Temperatur darf nämlich dabei nicht auf über 28 Grad steigen, da sonst das Eiweiss gerinnt.
Und in der Freizeit?
Vom Fischen komplett weg kommt Edith nie wirklich. Montag und Dienstag sind normalerweise die Ruhetage für die Fischerin und ihren Mann. Manchmal wird dann im Garten direkt am See gegärtnert.
Auch hier bleibt die Fischerei zentral. Im letzten Jahr hat sich Edith zwei grosse Hochbeete angeschafft. Beide bestehen aus grossen Metall- blechen, welche in die Form von Fischen gelötet wurden. Auch der Briefkasten besteht aus einer lustigen Holzskulptur, die Edith extra in Auftrag gegeben hat. In ihrer Freizeit gehen Edith und ihr Mann gerne Angeln. Häufig in anderen Gewässern als dem Thunersee. Wenn etwas gefangen wird, gibt es das dann meistens gerade zum Znacht. «Wir essen ‹ä Huufä› Fisch», verrät sie mir.
Nur fair, dass ich zu guter Letzt noch einen Fisch-Grillier-Tipp erhalte: Am besten grillt er sich auf einer Specksteinplatte und dünn eingerieben mit (selbstgemachter) Mayonnaise. Durch das Fett in der Mayo klebt der Fisch nicht und er erhält eine grossartige Kruste.