Edelweiss und Alpenidylle – Souvenirkeramik der Belle Époque «made in Thun»

Edelweiss und Alpenidylle – Souvenirkeramik der Belle Époque «made in Thun»

Edelweiss und Alpenidylle – Souvenirkeramik der Belle Époque «made in Thun»

Das Schloss Thun besitzt eine einzigartige Sammlung lokal hergestellter Souvenirkeramik aus der Zeit der Belle Époque. Das Museum zeigt in der laufenden Sonderausstellung mit den schönsten Objekten, dass die «Thuner Majolika» bis heute ihren Reiz nicht verloren hat.

Text: Lilian Raselli  |  Fotos: zvg

Souvenirkeramik aus Thun fand Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem unter ausländischen Touristen reissenden Absatz. Beispiele dieser sogenannten «Thuner Majolika» aus den Töpfereien der umliegenden Dörfer Steffisburg und Heimberg sind heute in vielen internationalen Sammlungen zu finden. Mit ihren farbigen Blumenmustern oder dem Alpenbezug auf den «Vedutentellern» verkörperten sie in einer Zeit des aufkommenden Industrialismus und Fortschritts die reine Idylle vom unverfälschten Leben. Daher gehörten sie in dieser frühen Phase des Alpentourismus zu den beliebtesten Reiseandenken aus der Schweiz. Sei es die Pariser Weltausstellung von 1878 oder die Landesausstellung 1883 in Zürich, die spektakulären Keramikobjekte fanden jeweils eine so starke Aufmerksamkeit, dass sich die Nachfrage danach schnell markant steigerte. 

Kreativität ohne Grenzen 

Die bunt verzierte Irdenware aus der Thuner Region wurde schon zu ihrer Zeit von den einen belächelt, von anderen heiss geliebt. Als Gebrauchsgeschirr ungeeignet, stellten sie reine Souvenirartikel dar. In dieser Kategorie bildeten sie eine eigene Gattung, jenseits der Realität. Ein Produkt, das auf Emotionalität und nicht Rationalität der Kunden setzte. Die Bandbreite von Neuschöpfungen ist dabei ganz erstaunlich und zeigt den Mut ihrer Schöpfer für neue Formen. Verwendet wurden dabei nicht nur traditionelle Vorbilder der Volkskeramik. Man liess sich auch von Vorlagen aus dem fernen China oder der orientalischen Welt inspirieren. Dem Formenreichtum wurden dabei fast keine Grenzen gesetzt. So ist es nicht erstaunlich, dass sich darunter sehr viele Einzelstücke befinden. Mit dem Ausbleiben von Kunden infolge des Ausbruchs des 1. Weltkriegs folgte der rasche Niedergang dieses Erwerbszweigs.

«Vedutenteller» als Verkaufsschlager 

Zu den eigenartigsten Erscheinungen dieser Gattung zählen die «Vedutenteller». Dabei wurde eine Symbiose zwischen keramischem Erzeugnis und traditioneller Ölmalerei vollzogen. Hier konnten bunte, floral ausgestaltete Randmuster problemlos auf die Rütliwiese und Alpenpanorama treffen. Die nach individuellen Kundenwünschen bemalten Wandteller entwickelten sich sofort zu einem richtigen Verkaufsschlager. Der Kunde konnte in speziellen Geschäften einen Teller und das Sujet auswählen, das teilweise gleich dort in Ölfarbe in den «Spiegel» der Teller, also die zentrale Fläche, aufgetragen wurde. Als Vorbild dienten kolorierte Stiche der Zeit zwischen 1750 und 1830. Ferdinand Hodler (1853 – 1918), der sich hier zum Vedutenmaler ausbilden liess, war ebenfalls ein beliebter Künstler. 

Der Beginn des Edelweisskults 

Als dekoratives Gestaltungselement wurde das Edelweiss seit den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts auch auf der «Thuner Majolika» unverzichtbarer Bestandteil. Seltenheit und hochalpine Lage hatten die unscheinbare Alpenblume nicht nur zu einem begehrten Mitbringsel begeisterter Bergsteiger gemacht. Gedichte, Erzählungen und botanische Führer liessen sie gleichsam zum «Sinnbild der Alpen» schlechthin werden. Der bis heute dauernde Mythos um das Edelweiss war geboren. 

Hart verdientes Brot

In der Zeit zwischen 1880 und 1920 war die Manufaktur Johann Wanzenried der bedeutendste Hafnereibetrieb von Heimberg. Arbeitsteilung durch Spezialisten sowie Innovation und vor allem die ausgezeichnete Vermarktung durch die Witwe Marie Louise Wanzenried-Ingold (1849 – 1929) des Firmengründers Johann Wanzenried (1847 – 1895) liessen diese Hafnerei in wenigen Jahren zu einer Grösse heranreifen, die in den besten Zeiten mehr als 35 Leute beschäftigte.

Die meisten der Heimberger Hafnereien waren jedoch meist familiäre Kleinbetriebe, die neben der Landwirtschaft geführt wurden. Die Männer mischten den lokal abgebauten Ton und formten ihn an der Töpferscheibe. Die meist schlecht bezahlten Frauen trugen mit geübter Hand Blumen- und Blattdekore mit Engobe auf die Gefässe auf, deren Umrisse zuvor in die lederharte Form eingeritzt worden waren. Vor dem Brand bei Temperaturen von rund 850 Grad wurde auf das vollständig trockene Geschirr noch die stark bleihaltige Glasur aufgestäubt. Der bei diesem «trockenen Glasieren» entstandene giftige Bleistaub führte bei Hafnern immer wieder zu Bleivergiftungen in allen möglichen Erscheinungsformen; wie zum Beispiel Koliken, Nervenfieber und Wassersucht. Sie wiesen daher eine deutlich niedrigere durchschnittliche Lebenserwartung auf. Um die finanziellen Folgen dieser Krankheiten etwas mildern zu können, war in Heimberg schon früh im 19. Jahrhundert die Hafner-Krankenkasse gegründet worden.

Friedrich Ernst Frank

Friedrich Ernst Frank (1862 – 1920) kann als bedeutendster Grafiker zeichnerischer Vorlagen für die Keramik angesehen werden. Bis zu seinem Lebensende arbeitete er in der Manufaktur Wanzenried, wo er 1878 als Lehrling eingetreten war. Er bildete sich aber auch im Ausland weiter, wie an der damals bedeutenden königlich-kaiserlichen Schule für Keramik in Znaim an der Thaya im heutigen Tschechien. Seine Begabung im Zeichnen und seine Genauigkeit liessen ihn alle Kunstströmungen im internationalen Kunstbetrieb zwischen 1880 und 1920 mitmachen. Neben heimatlichen, volkstümlichen Sujets gehörten auch Formen des Neubarock ottomanischen Reiches, Jugendstil, und Art Déco zu seinem Repertoire. Intensiv arbeitete er auch an der Entwicklung guter Gefässformen.

Kitsch oder Kunst – eine Ansichtssache

«Thuner Majolika» ist ein prägnantes Beispiel der Ideenfreudigkeit eines lokalen Kleingewerbes, neue Märkte mit gefragten Produkten zu beliefern. Produziert wurde von den Werkstätten, was bei den Touristen Anklang fand, jenseits des guten Geschmacks und jeglicher Realität. Dass man auch heute noch auf Anfrage in Bezug auf den Geschmack sehr anpassungsfähig ist, zeigt der Blick in jeden Souvenirladen.