Die Heimat der Kleinkunst
Die Heimat der Kleinkunst
Über 50 Jahre lang hat der ehemalige Thuner Stadtpräsident Hansueli von Allmen alles zum Thema Kleinkunst gesammelt. Doch im letzten April hat er sein Cabaret-Archiv aufgelöst, und die Tausenden Unterlagen fanden ein neues Zuhause in Bern und Lugano.
Text: David Heinen | Fotos: Luca Däppen, zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
Von Archivalien und Freundschaften
Nachdem sich Hansueli von Allmen anfänglich nur mit der Cabaret-Szene befasst hatte, weitete sich sein Interesse und damit auch seine Sammeltätigkeit bald aus. In den Kleinkunstlokalen kam er automatisch mit der aufkommenden Liedermacher- szene in Kontakt. Diese Chansonniers waren dann ihrerseits zum Teil auch verantwortlich für die Entwicklung des Mundartrocks. Und aufgrund der Gründung der Theaterschule des Clowns Dimitri, der Scuola Teatro Dimitri im Tessin, bevölkerten plötzlich viele Mimen die Kleinkunstbühnen der Schweiz. Da Hansueli von Allmen keine Grenzen ziehen und niemanden ausschliessen wollte, bekam das Archiv ein vierfaches Thema verpasst: Cabaret, Chanson, Mundartrock und Mimen. So sammelte sich über die Jahrzehnte eine wahre Schatzkammer in seinem Haus im Gwatt an: Medienkritiken, Plakate, Programmhefte, Flyer, Texte in verschiedenen Entstehungsstufen, Requisiten, Fotografien und vieles mehr. Vom legendären Cabaret Voltaire in Zürich (1916) bis zu zeitgenössischen Kunstschaffenden – fast alles, was auf den unzähligen Schweizer Kleinkunstbühnen aufgeführt wurde, fand seinen Niederschlag im Archiv von Hansueli von Allmen. Besonders am Herzen liegen ihm die Unterlagen über das Cabaret Cornichon. Das auch für seine bissigen Texte bekannte erste Schweizer Cabaret wurde 1934 in Zürich gegründet und während des Zweiten Weltkriegs sogar von der Schweizer Zensurbehörde überwacht. Daneben fanden auch ganz spezielle Gegenstände eine neue Heimat im Gwatt – beispielsweise die Perücke von HD-Soldat Läppli. Und welche Kunstschaffenden haben ihm persönlich am besten gefallen? «Ich habe grundsätzlich das Cabaret gern, bei dem der Humor zwischen den Zeilen liegt. Schenkelklopfer und Sprüche unter der Gürtellinie gefallen mir weniger.» Doch von seinem persönlichen Geschmack hat sich Hansueli von Allmen nie leiten lassen, sondern er versuchte, die gesamte Kleinkunstszene zu dokumentieren und abzubilden. Die Tausenden von Dokumenten sind aber nur eine Seite seiner Archivtätigkeit. Daneben stehen die vielen persönlichen Kontakte, von denen einige zu schönen Freundschaften anwuchsen. Die vielen Künstler und Künstlerinnen, die Hansueli von Allmen über die Jahre immer wieder anschrieb und um Material bat, wollten schliesslich auch mal sehen, was mit den Unterlagen passiert. So gingen bei ihm Grössen wie Franz Hohler, Gardi Hutter, Emil Steinberger und andere ein und aus, mit denen er bis heute in engem Kontakt steht. Hatten diese Auftritte in der Region Thun, übernachteten sie teilweise sogar im Archiv. «Die persönlichen Kontakte waren die lebendige Seite meines an sich trockenen Archivs.» Auch viele Studenten und Autoren bedienten sich der Unterlagen im Archiv und besuchten es teilweise über Jahre hinweg. Nicht zuletzt deswegen wurde Hansueli von Allmen 1996 von der Universität Freiburg mit dem Dr. h. c., dem Ehrendoktor, gewürdigt. Seine Frau Anita kümmerte sich jeweils liebevoll um die scherzhaft «Ferienbuben» genannten Besucher. «Ins Gästebuch schrieben sie dann zwar immer, dass es ein sehr schönes Archiv sei, doch das sichtbarste Lob hat jeweils meine Frau erhalten.»
Hansueli von Allmens öffentliches Leben wurde über all die Jahre von zwei Leidenschaften bestimmt: einerseits vom Cabaret-Archiv und anderseits von der Politik. Eine eher unübliche Kombination: «Politik und Cabaret liegen näher beieinander, als man denkt. Ohne Politik gibt es kein Cabaret, und die Politik ist manchmal auch nahe beim Cabaret.» Dass er es mal bis in die höchsten politischen Ämter schaffen würde, war alles andere als vorgezeichnet. «Ich war ein eher schlechter Schüler und meine intellektuellen Fähigkeiten waren nicht sehr ausgeprägt.» So scheiterte sein Wunsch, Lehrer zu werden, bereits vor der Aufnahmeprüfung fürs Lehrerseminar. Er besuchte die Verkehrsschule und landete dann bei den SBB, wo er seine berufliche Laufbahn begann und bis 1990 fortführte und zuletzt Personalchef einer Abteilung der Generaldirektion in Bern war. Und um seine beruflichen Chancen zu verbessern, wurde er im Militär Offizier. Doch die Grundlage der politischen Laufbahn sieht er an anderer Stelle: bei der Pfadi. «Fast alle Qualitäten, die man mir nachsagt, habe ich in der Pfadi erworben.» Bis ins Alter von 27 bestimmte die Pfadi sein Leben, dort verbrachte er seine Freizeit, knüpfte wertvolle Kontakte und lernte Hunderte von Buben und Eltern kennen. Auch die Tätigkeit als Präsident verschiedener Vereine betrachtet Hansueli von Allmen als bestimmend für sein politisches Schaffen. Schon in den 70er-Jahren wirkte er im Thuner Stadtrat, darauf im Gemeinderat und im Grossen Rat des Kantons Bern – und dann wurde 1990 das Stadtpräsidium frei. Er stellte sich zur Wahl und setzte sich zu seiner grossen Überraschung durch – notabene gegen drei Akademiker. «Zuerst bin ich erschrocken. Ich war mir nicht sicher, ob ich dem Amt gewachsen bin. Mein Vorgänger war ein brillanter Rhetoriker, das bin ich nicht.» Doch Hansueli von Allmen stellte sich der Aufgabe und übte 20 Jahre erfolgreich das Amt des Stadtpräsidenten aus. In dieser Zeit leistete er viel für die Stadt Thun im Allgemeinen und im Besonderen für den lokalen Kulturbetrieb. So holte er beispielsweise die Künstlerbörse nach Thun. Dieser Anlass war auf der Suche nach einem festen Standort, nachdem er vorher Jahr für Jahr den Ort gewechselt hatte. «Mir war klar, dass dies eine grosse Chance für die Stadt Thun war. Aber ich war auch skeptisch, weil ich dachte, ich kann doch nicht als Stadtpräsident mein Hobby nach Thun holen.» Doch auch der Gemeinderat war von der Idee überzeugt, allerdings entschied er, dass nicht Hansueli von Allmen die Thuner Bewerbung vertreten sollte. Die beste Bewerbung setzte sich in der Folge durch und so ist nun die Künstlerbörse seit 30 Jahren fester Bestandteil des reichhaltigen kulturellen Angebots in Thun. Weitere Anlässe, die auf seine Initiative zurückgehen, sind das Thuner Filmfestival, das Neujahrskonzert und der Kleinkunsttag. Und auch die ersten Thunerseespiele fallen in seine Amtszeit. Damit trug Hansueli von Allmen entscheidend dazu bei, dass Thun heute zu Recht als Schweizer Hauptstadt der Kleinkunst bezeichnet wird.
Am 1. April wurde nun der Betrieb des Schweizer Cabaret-Archivs offiziell eingestellt. Rund 5000 Tonträger, 800 Videos und DVDs, 2500 Bücher und die Dokumente, die ausschliesslich Musik behandeln, gingen an die Schweizerische Nationalphonothek in Lugano. Der grosse Rest, also rund 750 Archivschachteln über Cabaret, Poetry-Slam und Mimen sowie die umfassende Sammlung an Requisiten, zog nach Bern zur Stiftung SAPA, dem Schweizer Archiv der Darstellenden Künste. Doch weshalb hat sich Hansueli von Allmen überhaupt entschieden, die Frucht seiner 50-jährigen Sammelleidenschaft in andere Hände zu übergeben? Bereits im Jahr 1998 hatte er einen Schenkungsvertrag mit der Stiftung SAPA unterzeichnet, in dem festgehalten wurde, dass bei seinem Ableben oder wenn er seine Tätigkeit aufgeben will, die Sammlung übergeben wird. Ausschlaggebend waren nun andere Gründe: Seine langjährige Mitarbeiterin hatte schon letztes Jahr frühzeitig angekündigt, dass sie aufhören möchte. So stellte sich die Frage, ob er noch jemand Neues einarbeiten möchte. Zusätzlich befasste er sich damit, was er seiner Familie aufladen würde, wenn diese sich um die Auflösung des Archivs kümmern müsste. Und schliesslich verändert sich das Archivwesen immer mehr in Richtung digitaler Dokumente. «Das ist nicht mehr meine Welt. Ich habe gerne grosse gelbe Couverts mit Fotos, Plakaten, Programmheften und Texten im Briefkasten.» Nun sieht sich Hansueli von Allmen mit einem fast leeren Haus konfrontiert, schliesslich hatte das Archiv rund zwei Drittel des Raums eingenommen. «Es wäre überheblich, wenn ich sagen würde, dass das spurlos an mir vorbeigeht. Doch ich bin froh, dass ich das Archiv geordnet in gute Hände übergeben konnte. Und ich falle sicher in kein Loch, jetzt wo das Archiv weg ist.» Zusammen mit seiner Frau ist er zurzeit daran, sich zu überlegen, was sie mit dem vielen Platz anfangen möchten. Auf jeden Fall gibt es ein schönes Gästezimmer, damit die befreundeten Künstlerinnen und Künstler während ihrer Auftritte in Thun bei ihnen nächtigen können – weiter ist noch nichts entschieden. Und ein kleines Erinnerungsstück hat er dann doch noch für sich behalten: eine gravierte silberne Zündholzschachtel von Adrien Wettach, besser bekannt als Grock, dem vielleicht berühmtesten Clown der Welt.