Zwischen Tradition und Moderne

Zwischen Tradition und Moderne

Zwischen Tradition und Moderne

Bald 150 Jahre steht an der Alten Bernstrasse in Steffisburg der «Schützen». Von der einfachen Gaststube über den Gasthof mit Hotelzimmern bis hin zum modernen Restaurant mit separatem Hotelgebäude hat das Haus eine grosse Wandlung vollzogen – doch seinen Wurzeln ist der «Schützen» stets treu geblieben.

Text: David Heinen  |  Fotos: zvg

Das 19. Jahrhundert war in der Schweiz eine Zeit grosser wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche. Die Industrialisierung formte aus dem agrarwirtschaftlich geprägten Land Schritt für Schritt einen Industriestaat, begleitet von einem rasanten Bevölkerungszuwachs. Diese Entwicklung machte auch vor dem Gastgewerbe nicht halt; so entstanden ab den 1830er-Jahren die ersten imposanten Hotels, die auf eine grosse Anzahl an Übernachtungen ausgerichtet waren. In diese Geschichte reiht sich auch – zuerst noch ganz unscheinbar – der «Schützen» in Steffisburg ein.


Von Haueter zu Hauenstein

Alles begann im Jahr 1877. Damals eröffnete die Familie Haueter eine einfache Gastwirtschaft; zum Betrieb gehörte zusätzlich ein kleiner Krämerladen. Damit war der Grundstein gelegt – ob dies nicht nur sprichwörtlich, sondern auch wortwörtlich so war, lässt sich heute allerdings nicht mehr genau eruieren. Der «Schützen» hat in seiner Geschichte eine Vielzahl von Umbauten erlebt, und so ist nicht klar, ob das Gebäude 1877 tatsächlich neu gebaut wurde. Bereits 1893 baute jedenfalls die zweite Haueter-Generation das Angebot aus, und es entstand ein Metzgerladen, dessen architektonische Spuren auch heute noch anzutreffen sind. Der Betrieb scheint gut gelaufen zu sein, schliesslich konnte der «Schützen» 1951 um zwölf Hotelzimmer und ein Restaurant erweitert werden. Für diesen Umbau zeichnete nunmehr die dritte Haueter-Generation verantwortlich. Die Geschichte des «Schützen» in Steffisburg stand also ganz unter dem Stern der Familie Haueter; und dies blieb noch über 50 Jahre der Fall. Im Jahr 2006 endete dann eine Ära: Die Familie Haueter übergab nach inzwischen 129 Jahren und in bereits fünfter Generation das Ruder an die Familie Hauenstein.

Anbruch einer neuen Zeit

Nun standen dem «Schützen» grosse Veränderungen bevor. Urs Hauenstein und sein Team machten sich daran, das Gebäude komplett umzubauen. Und das war auch wirklich notwendig – der «Schützen» war nicht mehr zeitgemäss. Die alten Hotelzimmer entsprachen nicht mehr den Anforderungen und wurden zu Wohnungen und Büroräumlichkeiten umgebaut. Auch die Küche hatte ihre besten Zeiten bereits lange hinter sich und wurde entsprechend komplett abgerissen und neu aufgebaut. Ein besonderes Glanzstück war der Neubau der äusserst eleganten Bar und des weitläufigen Wintergartens, die zu neuen Treffpunkten in Steffisburg wurden. Wo sich früher ein frei stehender, ungeheizter Pavillon befunden hatte, entstand ein Neubau, der über die umgebaute Terrasse geschickt mit dem Haupthaus verbunden wurde. Auch die alten Speisesäle wurden saniert, doch hier wurde äusserst zurückhaltend vorgegangen. Es war Hauensteins ein grosses Anliegen, eine gewisse Balance zwischen Bewahrung und Erneuerung zu erreichen. 

Doch wieso hatte sich Urs Hauenstein überhaupt um das ehrwürdige Gebäude bemüht? Der «Schützen» ist für ihn eine Herzensangelegenheit, schliesslich wurde bereits seine eigene Taufe hier gefeiert. Wohl auch deswegen war es ihm und seinem Team wichtig, den alten Charme des «Schützen» zu bewahren und seinen drohenden Abriss zu verhindern. 

Im Jahr 2015 standen dann die bisher letzten grossen Umbauten rund um den «Schützen» an: In unmittelbarer Nachbarschaft entstand ein neues Hotelgebäude, das mit 45 modernen Zimmern und einem grossen Saal für über 160 Personen aufwarten kann. Das neue Bauwerk schliesst direkt an den erwähnten Pavillon an und ermöglicht damit einen schönen Brückenschlag zwischen den alten und den neuen Gebäudeteilen.

David Hauenstein führt durch die Räumlichkeiten, und dabei fühlt man sich wie auf einer Reise durch die Zeit.

Der Spagat zwischen Tradition und Moderne

Im Jahr 2020 stand dann ein weiterer Generationenwechsel an: Urs Hauenstein übergab die Leitung seinem Sohn David. Nach fünf Generationen unter der Regie der Familie Haueter ist nun also auch bereits die zweite Hauenstein-Generation am Werk – ein wahrer Familienbetrieb! Voller Stolz führt David Hauenstein durch die Räumlichkeiten, und dabei fühlt man sich wie auf einer Reise durch die Zeit. In der Metzgerstube, die sich – wenig überraschend – dort befindet, wo früher die Metzgerei war, ist die Einrichtung eher traditionell. Auch die Gaststube und das sogenannte Töpferstübli wecken Erinnerungen an vergangene Zeiten und bestechen durch viel Holz und Handwerk.

Kleiner Exkurs: In den Gemeinden Heimberg und Steffisburg hatte das Töpfereihandwerk früher einen grossen Stellenwert, und noch heute befindet sich eine Töpferei in unmittelbarer Umgebung des «Schützen». Dem wurde hier schon früher Rechnung getragen, und so waren beispielsweise alle Rezeptionsschilder aus Keramik gefertigt – daher auch der Name Töpferstübli. Der vielleicht älteste Teil des Hauses ist der Weinkeller, worin sich unter einem schönen Gewölbe eine eindrückliche Weinsammlung befindet. Kontrastiert werden diese Gebäudeteile durch den erwähnten Wintergarten und die Bar, die beide durch eine zeitgemässe Eleganz bestechen.

David Hauenstein ist sich der grossen Verantwortung bewusst, die die Leitung eines solch altehrwürdigen Hauses mit sich bringt. Den Spagat zwischen Tradition und Moderne, der architektonisch gut gelungen ist, versucht er auch kulinarisch umzusetzen. So gibt es zwei unterschiedliche Speisekarten, die die unterschiedlichen Räumlichkeiten widerspiegeln. In der Gaststube setzt man auf Klassiker – der Hackbraten ist weitum bekannt. Glücklicherweise war der heutige Küchenchef auch schon in der Vor-Hauenstein-Ära im «Schützen» tätig und ist im Besitz einiger der alten Haueter-Rezepte. Aber auch eine Speisekarte mit ausgefalleneren Gerichten, die perfekt zum geschmackvoll eingerichteten Wintergarten passen, wird angeboten. So kann sich jeder den passenden Platz aussuchen – viele der Stammgäste bevorzugen die alte Gaststube, während neues und eher jüngeres Publikum meistens lieber im Wintergarten einkehrt.

In der ganzen Schweiz ist das Beizensterben Realität, auch in Steffisburg gab es früher noch viel mehr Restaurants und Gasthäuser. Umso wichtiger ist es, den noch vorhandenen Sorge zu tragen; und umso schöner ist es, wenn es diese noch vorhandenen Gasthäuser schaffen, so gekonnt das Moderne und das Traditionelle zu verbinden wie der «Schützen» in Steffisburg.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

* Erforderlich