Architektur: Reise in die Vergangenheit

Architektur: Reise in die Vergangenheit

Architektur: Reise in die Vergangenheit

Das märchenhafte Schloss Hünegg ist kein gewöhnliches Museum. Eingebettet in eine weitläufige Parkanlage mit einheimischen und exotischen Bäumen und Blumen, ist es dank seiner Ausstattung – seit 1900 unverändert – ein einzigartiges Beispiel für das Leben vergangener Zeiten. Einer Zeitreise zurück ins 19. und 20. Jahrhundert gleichkommend, scheint es so, als kehrten die ehemaligen Bewohner jeden Moment zurück.

Der ehemalige preussische Offizier Baron Albert von Parpart liess zusammen mit seiner Frau Adelheid von Bonstetten das Schloss Hünegg von 1861 bis 1863 erbauen. Als Architekt wurde der erst 25-jährige Heino Schmieden aus Berlin engagiert. Dieser hatte vorher als Assistent bei verschiedenen Bauten in Berlin mitgewirkt und führte nun mit dem Schloss Hünegg seine erste selbstständige Arbeit durch. Inspirieren liess er sich dabei von den Renaissanceschlössern an der Loire, die er auf einer Studienreise kennenlernte. Beim Bau verwendete Schmieden unter anderem grünen Sandstein aus der Nähe von Bern, gelben Tuffstein aus Leissigen, marmorähnlichen Kalkstein aus dem Oberland und französischen Schiefer. Seinen Namen erhielt das Schloss übrigens von den auf dem Schlossareal entdeckten Hünengräbern.

Ab 1899 waren es die neuen Besitzer Gustav und Marie Sophie Lemke-Schuckert, welche die Anregungen für wichtige Erneuerungsarbeiten gab. Unter anderem fügten sie auf der Nordostseite einen Vorbau mit Terrasse hinzu und gewannen damit eine Eingangsloggia, eine Dienerloge und einen Anrichteraum im Erdgeschoss mit Liftverbindung in die erweiterte Küche im Untergeschoss. Zudem liessen die beiden das Schloss vorwiegend im Jugendstil neu einrichten und brachten es auch technisch auf den neuesten Stand. 

Das Schloss gelang – nach mehreren Privatbesitzern – schliesslich 1958 an den Kanton Bern, der es auf Anregung der Gemeinde Hilterfingen aufkaufte. Letztere übernimmt auch heute noch die Betreuung, die Pflege und den Unterhalt des Parkes und macht diesen der Öffentlichkeit zugänglich. Die Haupträume des Schlosses wurden dann 1966 auch als Museum für die Wohnkultur des Historismus und des Jugendstils öffentlich zugänglich gemacht.1989 ging das Schloss an die selbstständige, gemeinnützige Stiftung Schloss Hünegg über. Diese bezweckt die Erhaltung, die Pflege und den Schutz des Schlosses samt seiner originalen Ausstattung und den dazu gehörenden Nebengebäuden. Des Weiteren verwaltet die Stiftung die verschiedenen Nutzungszwecke des Schlosses, zu welchen (unter anderem) Besichtigungen, museale Ausstellungen sowie Events aller Art gehören. Die Stiftung entscheidet im Grossen und Ganzen auch über eventuelle Restaurierungsetappen und Zielsetzungen in Bezug auf den Erhalt des Schlosses.

Finanziert wird das Ganze über verschiedene Standbeine: Eintritte, Führungen, Events, Vermietungen, Geländenutzungen, Shootings, Drehs, Publikationen, Produkte, die verkauft werden, über den Verein der Freunde des Schlosses Hünegg mit ca. 500 Mitgliedern, der jährlich projektbezogen unterstützt sowie über den kantonalen Lotteriefonds, der vor allem bei der Erhaltung unterstützt.

Einzigartige Einrichtung
Die komplette, umfangreiche Ausstattung des Schlosses ist geprägt durch ausgewählte, kostbare Materialien. Seit 1900 erhalten und unverändert geblieben, macht es das Schloss zu einem einzigartigen Beispiel für die Lebensweise in vergangenen Zeiten. Jederzeit hat man das Gefühl, die Zeit stünde still und seine Bewohner kämen um die Ecke gelaufen und würden ihren Alltag weiterleben.

Zu sehen sind eine vollständig ausstaffierte Grossküche mit damals modernsten Geräten, ein komplett eingerichteter Anrichteraum, Esszimmer, Wohn- und Schlafräume mit Mobiliar aus dem Historismus und dem Jugendstil, Badezimmer, Bediensteten-Ess- und Badzimmer, ein Bügelraum sowie die die 52 Jugendstilleuchten, die damals dank eines Petroleumgenerators das Schloss als einziges Gebäude weit und breit mit Strom erleuchteten: Es sind einzigartige Zeitzeugen, die in keinem anderen Schloss so umfassend bestaunt werden können. 

Wie wird das Ganze präserviert? Durch ständige Bemühungen, Massnahmen, Restaurierungen und anhand einer intensiven Beschäftigung mit Textilien. Zusammen mit der Abegg-Stiftung und der Hochschule der Künste Bern wurden Massnahmen ausgearbeitet und die Inventarisierung vorangetrieben. Aber auch mit anderen Spezialisten wird zusammengearbeitet. Als andere Massnahmen werden Räume abgegrenzt und dann erst ein Jahr später wieder zugänglich gemacht. So können diese nicht nur geschont werden, auch der Gästestrom wird so gesteuert, da damit der Rundgang aufgeteilt werden kann. Eine nicht zu unterschätzende Rolle hat das Klima: Da es sehr feucht ist, hat es eine konservierende Wirkung. Da ausserdem das gesamte Schloss, bis auf wenige Zimmer, nicht geheizt wird, bleibt es immer kühl und es kommt keine trockene Luft in die Räume. Eine Schwierigkeit sind allerdings die Teppiche. Sobald es draussen nicht mehr trocken ist, gibt es Schuhbezüge, die die Gäste tragen müssen, um diese zu schonen.

Es zeigt sich, dass Besucher scheinbar Respekt und Demut entwickeln. Sie werden eine Einheit mit den Räumen, auch weil alles so lebendig und in entsprechendem Zustand ist. Dies führt dazu, dass im letzten Jahrzehnt noch nie etwas entwendet oder zerstört worden ist, obwohl – bis auf wenige Ausnahmen – nichts durch Glas oder andere Absperrungen geschützt ist.
 
Parkanlage
Der herrschaftliche Sitz liegt in einem zauberhaften Park mit altem Baumbestand direkt am See. Der ganzjährig der Öffentlichkeit zugängliche Schlosspark weist eine Fläche von 5,35 ha auf, was 7 ½ Fussballfeldern entspricht. Der Bestand besteht aus einheimischen und exotischen Bäumen und Pflanzen, viele davon bestehen seit den 1860er-Jahren. Diese wachsen im milden, temperaturausgleichenden Seeklima üppig. Unter diesen Bäumen finden sich zum Beispiel Mammutbäume. Eine Grotte und ein Pavillon sind ebenfalls Teil der Anlage. Die ursprüngliche Wegführung wurde bis heute weitgehend beibehalten.
Auf dem Areal gibt es auch Tiere: Da wären zwei Kaninchen, die vor dem Tod gerettet wurden, ein Pfauenweibchen und ein -männchen sowie mittlerweile vier Rotnacken-Kängurus (auch bekannt als Bennett-Wallabys), für deren Haltung es einer kantonalen Bewilligung und einer Ausbildung bedarf. Alle Tiere stammen aus der Schweiz, haben ein neues Zuhause gesucht und leben zusammen in einem Gehege.

Angebote
Neben dem Museum gibt es zudem weitere Angebote. So können der Schlosskeller und der Aussenbereich – beides ganzjährig nutzbar – für Anlässe jeder Art gemietet werden. Der Kulturpavillon ist während der Schloss-Saison von Mitte Mai bis Mitte Oktober nutzbar. Im grossen Park selbst gibt es zudem einen Spielplatz. Als erstes Schloss der Schweiz bietet es den Gästen eine hauseigene Mischungen für Kaffee und Espresso aus frisch gerösteten sowie biologisch angebauten Bohnen aus fairem Handel an. Von Plantagen aus Brasilien, Kolumbien und Mexiko gelangen die Bohnen auf direktem Weg zur Rösterei Heer in Thun, wo sie schonend verarbeitet werden. Die beiden exklusiven Mischungen werden ausschliesslich für das Schloss Hünegg hergestellt und können nur an diesem Ort getrunken werden.

Im Schloss befindet sich zudem das Schiffsarchiv Liechti: Eine einzigartige Sammlung von über 140 selbst gebauten Schiffsmodellen, Original- und Rekonstruktionsplänen sämtlicher in der Schweiz gefahrenen oder noch fahrenden Schiffen sowie ein Fotoarchiv mit unzähligen Fotos, Bildern und Büchern ist dort erhalten. Jahr für Jahr wird der Schwerpunkt auf ein anderes Schweizer Gebiet gelegt.

Jeden Samstag und Sonntag während den regulären Schlossöffnungszeiten von Mitte Mai bis Mitte Oktober öffnet die Brocante Royal. Im Dachgeschoss ist eine Wohnwelt begehbar. Alles, was man dort antrifft – weltweite Antiquitäten – können erstanden werden. Es werden aber keine Objekte des Schlosses angeboten!

Der Palazzo Sesavale – eine von Christian Singer hergestellte Miniaturwohnwelt im Massstab 1:12 – ist im Schlosskeller zu bestaunen. Während 30 Jahren wurde es in filigraner Handarbeit und mit verschiedensten Materialien gebaut. Dank einer Taste können sämtliche Kronleuchter aktiviert werden. Ein Schloss im Schloss also!

 

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