E Nacht z Venedig
E Nacht z Venedig
Text: Ilse Vögeli | Fotos: zvg
Wo mer z Venedig yfahre, isch d Sunne am Ungergah. E Sunnenungergang, so füürig u glüeijig, wi me ne nume z Italie cha erläbe. Venedig, di Stadt, wo d Dichter us der ganze Wäut aus di «badendi Venus» beschribe hi. Uf der Piazza di Roma verlö mer der Reisebus. E Schwarm schwarzi eleganti Gondle lige am Rand vom Kanau. D Gondolieri mit ihrne typische Struuhüet stöh am Rueder u warte uf d Gescht, wo da aachöme, für se dür d Lagunestadt i ihri Hotäu z ruedere. E Gondoliere nimmt mer z Güferli ab u git mer d Hang, für i das schwankende Schiffli z styge. Er ruederet mit mer dür e Canale Grande, wo d Fassade vo de Marmorpaläscht wi nes Biud us eme orientalische Märli im letschte Aabeschyn erstrahle u sech d Liechter im Wasser spiegle. Ii Palascht prunkvouer aus der anger. D Ponte di Rialto toucht uuf. Der Gonduschwarm vertiiut sech, di Gondle verschwinde i aune Richtige i chlyneri Kanäu.
O my Gondoliere manöveriert ds Schiffli i so ne schmali Wasserstrass. Kes angersch Schiff chrüzt is meh. Eibahnverchehr, mir sy eliini. Höch wachse d Hüserfassade us em schwarze Wasser gäg e Himu zue. Hie u dert e Latärne. Ke Belüüchtig meh wi am Canale Grande. Ke Lut isch z ghöre ussert em Plätschere vom Rueder. Jetz lat er ds Rueder la lige, lat ds Schiffli vo der Strömig la trybe. O das Grüüsch verstummt. Tote-
stiiui. – Di fyschtere Hüserfronte rächts u linggs verdecke der Nachthimu bis uf ene schmale Streiffe. Diräkt über mir schwümmt e bliichi Mondsichle u luegt i di tüüfi fröschtelegi Wassergruft ache. I hocke wi aagchliipet uf em schmale Bänkli i der Gondle. Mueterseelenelini chume mer vor mit mym Güferli vor de Chnöi u mit eme Chrott im Haus. Absolut kes Grüüsch, ke Outolärme, ke Radio, wo es Ziiche vo Läbe wäre. Kener mönschlechi Stimme, wo vo Fäischter zu Fäischter über d Wassergass chönnte töne oder chädere, ungerbräche di totali Stiiui. Vor mir toucht e schmali Brügg uuf. Lüt wandere lutlos hin u här. Sogar ds Klappere vo ihrne Schritte wird vo de Hüsermuure verschlückt.
Ds bekannte Biud vom Arnold Böcklin, «Die Toteninsel», geischteret mer dür e Sinn. No inisch isch my Stüürmaa i ne no ängeri Schlucht ygchräicht. Das Ganze chunnt mer wi ne gspängschterhafti Fiumszene vor. I würd am liebschte lut use brüele. Di Grabesstiiui hauten i fasch nümme uus, es drückt mer ds Gurgeli zäme, ds Härz chlopfet mer bis zum Hauszäpfli, vertrüdelet myner Gfüeu. I cha chuum meh schnuufe. Warum red dä Gondoliere nid mit syr Chundin? Warum singt er nid e venezianeschi Romanze? Me verzeut doch, d Gondolieri vo Venedig syge begnadeti Tenör? Oder isch das nume Illusion, e Wunschtruum vo mir? Warum sueche den ig nid ds Gspräch mit ihm? Ändlech: «Ecco il suo albergo.» Er manöveriert d Gondle zum chlyne Stägli. I springe uf en erscht Tritt, er git mer ds Güferli, u furt isch er, verschwunde i der Tüüffi vo der Nacht.
A der düschtere Rezeption brönnt es schummerigs Liecht. Hinger der Theke, haub schlafend, der Nachtportier. Bliich, mit glesigem Blick luegt er mi aa, streckt mer der Zimmerschlüssu eggäge. Chauti füechti Finger streiffe my Hang. «Terzo piano a sinistra.» Di auti Houzstäge rugget trotz em dicke, rote Teppich. E moderige Gruch i däm Stägehuus. I drääje der Schlüssu im Zimmer vo inne um u lige uf ds Bett, mues e Uugeblick wider zue mer säuber cho. Tüüf düreschnuufe, entspanne. – No nie het mir d Stiiui so weh ta wi hie i der Gondle im nächtleche Venedig. Im Hochgebirge isch das angersch. Dert füelen i mi geborge, naach em Himu u de Stärne.
No nie het mir d Stiiui so weh ta wi hie i der Gondle im nächtleche Venedig.
Am angere Morge, nach ere Nacht mit weni Schlaf, wirden i wider von ere Gondle griicht, wo mi zrügg zum Reisebus füert. Das Mau gniessen i d Fahrt i voue Züg. Im strahlende Morgeliecht erläben i jetz di badendi Venus i der Lagune. Kes Toggeli meh uf der Bruscht, kes Wörgge meh im Haus. Der Gondoliere pfyfferlet: «O sole mio».
Ilse Vögeli
Ilse Vögeli, geboren 1935, wuchs in der Mühle Biglen auf. Ausbildung zur Säuglings- und Kinderkrankenschwester. Sie arbeitete in der Schweiz, Frankreich und Italien sowie später als Lehrerin an der Kinderkrankenpflegeschule Elfenau in Bern. Sie lebt seit 1977 in Grosshöchstetten.