Ghosts – Eine Spannbreite Farben zum Träumen
Ghosts – Eine Spannbreite Farben zum Träumen
Dieses Jahr zeigt das Schloss Spiez zeitgenössische Kunst. Wegen einer Fassadensanierung können nicht alle Ausstellungsobjekte im Schlossmuseum präsentiert werden. Das Schloss Spiez hat deshalb den Videokünstler Peter Aerschmann eingeladen, die Leerstellen mit eigenen Werken zu bespielen. Die Ausstellung GHOSTS läuft bis am 31. Oktober 2021 und lässt einen nicht nur Kunstwerke ent- decken, sondern ermöglicht auch neue Blicke auf das alte Schloss.
Text: Barbara Egli | Fotos: zvg
Während der Bildhauer früher hauptsächlich Vorlagen für seine Plastiken skizzierte, entstanden ab 1987 eigenständige kreative Zeichnungen.
Die Projektion tritt auf verschiedensten Ebenen mit der Schloss- umgebung in einen Dialog.
der Künstler Peter Aerschmann letzten Dezember das Schloss Spiez erstmals besuchte, fand er ein eingewintertes Schlossmuseum vor. Rüstungen, Truhen und weiteres mehr waren zum Schutz mit Tüchern verhüllt, Vitrinen leergeräumt. Dieses Verhüllen verband Peter Aerschmann sofort mit seinen jüngsten Werken und den damit zusammenhängenden Fragestellungen rund um eine «digitale Isolation». Während uns heute der technische Stand und die digitalen Mittel erlauben, mit der ganzen Welt zu kommunizieren, werden die Distanzen im unmittelbaren Umfeld immer grösser. Diese Entwicklung hat sich mit der Coronapandemie zusätzlich beschleunigt und verstärkt. Dadurch, dass der soziale Austausch immer weniger physische Präsenz am gleichen Ort voraussetzt, bewegen wir uns gleichzeitig in verschiedenen Welten und bekommen etwas Geisterhaftes. Das Gespenst ist für Peter Aerschmann zum Symbol für uns selbst und der Gesellschaft geworden und verleiht der Spiezer Ausstellung ihren Titel.
Die Überlagerung verschiedener Welten, Realitäten und Zeitebenen wohnt auch dem Schloss inne. Das Wirken der ehemaligen Schlossbewohnerinnen und Schlossbewohner ist auf verschiedenste Weise sichtbar geblieben; deshalb entwickeln die Schlossräume eine Art Verstärkerfunktion der Fragen und Reflektionen in Peter Aerschmanns Werken. Das Bild des Gespensts wird bei der Projektion im Festsaalgang sehr konkret vor Augen treten, wobei die Gestalten wie Zitate aus der Kunstgeschichte wirken, von antiken Statuen bis zu Hodler. Dass Peter Aerschmann an diesem Ort die Gespenster in fast hypnotischer Langsamkeit tanzen lässt, ist kein Zufall: Hier hängen ansonsten die Porträts der Herren und Damen von Erlach aus vergangenen Jahrhunderten. Und so tritt diese Projektion auf verschiedensten Ebenen mit der Schlossumgebung in einen Dialog. Peter Aerschmann, 1969 geboren, stammt aus dem kleinen Dorf Zumholz im freiburgischen Sensebezirk. Früh schon interessiert er sich fürs bildnerische Gestalten, zeichnet, malt und töpfert. Daneben ist er von der aufkommenden Computertechnik fasziniert. Dass sich die beiden Interessenfelder vereinen lassen, entdeckt Peter Aerschmann an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel und anschliessend an der Hochschule der Künste in Bern. Das bewegte Bild gibt dem Künstler eine Freiheit, die ihm beim Malen fehlt: Während bei einem Gemälde die oberste Malschicht den einzigen sichtbaren Zustand eines Werks festlegt, lässt die Videokunst Varianten zu und vereint eine Vielzahl von Einzelbildern durch Bewegung. Als Peter Aerschmann in der Kunsthalle Bern seine erste Videoanimation zeigt, wird ihm klar, dass er damit sein stärkstes Ausdrucksmittel gefunden hat. Mittlerweile gehört er zu den profiliertesten Medienkünstlern der Schweiz. Dass er 2021 im Schloss Spiez ausstellt, ist nicht zuletzt der Coronapandemie geschuldet: Könnte er reisen, weilte er in diesen Monaten dank einem Atelierstipendium in Shanghai.
Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit zeitigt auch inhaltliche Auswirkungen auf
Aerschmanns Schaffen. Setzten sich seine bisherigen Arbeiten häufig aus Versatzstücken verschiedenster Reisen rund um die Welt zusammen, wobei Menschen eine wichtige Rolle spielten – wie beispielsweise in den Werken «Kiosk (2018)» oder «I MISS YOU (2020)» –, begibt er sich nun häufiger auf Motivsuche in der Natur. So auch für das neue Werk mit dem Titel «Eisscholle». Auf einem Gebilde, welches an einen Eisberg erinnert, lässt Peter Aerschmann eine Schneedecke wandern. In diese hat die Sonne bereits Löcher geschmolzen, durch die der Künstler Blicke auf unterschiedliche Untergründe freigibt. Schicht über Schicht legen sich verschiedene Jahreszeiten und Epochen, alles ist in ständiger Bewegung und Interaktion. Verschieben wir den Standpunkt, ändert sich auch die Wahrnehmung. Wir selbst sind Teil dieses Zeit- und Raumgebildes. Ist der sogenannte Lauf der Geschichte etwa gar nicht linear und welche Rolle spielt das Individuum? Aber auch viel konkretere und aktuelle Bezüge drängen sich bei der Betrachtung auf: Möchte Aerschmann mit der liegengebliebenen «Eisscholle» auf den Klimawandel hinweisen? Ein Thema, welches das zeitgenössische Kunstschaffen vielfach beschäftigt – der «Snowman» von Fischli / Weiss ist nur eines der bekanntesten Beispiele. Nicht so direkt, meint Peter Aerschmann, aber es sei klar, dass aktuelle Diskussionen und Bilder in seine Werke einfliessen. Und ja, die Klimafrage könne durchaus mit diesem Werk in Verbindung gebracht werden. Er möchte jedoch nicht Antworten geben, sondern vielmehr Fragen stellen und zum Nachdenken anregen.
Diesem Anspruch folgend, schafft Peter Aerschmann mit seinen Werken wirkungsvolle Assoziationsräume, welche zu Denk- räumen werden. Diesen Effekt erzeugt Peter Aerschmann durch gekonnt angewandte Techniken und Stilmittel. Ausgangsmaterial aller Werke bilden Fotografien und Filmsequenzen, welche er selbst aufnimmt. Sie entstehen unterwegs, wobei der Künstler weniger das Spektakuläre, sondern vielmehr banale Alltagssituationen einfängt und sich als äusserst präzisen Beobachter erweist. Mittlerweile verfügt Aerschmann über eine riesige Foto- und Filmdatenbank, woraus er sich – wie auch aus einem Erinnerungsschatz – bedienen kann. Am Computer isoliert er aus den Einzelbildern Motive und baut diese digital zu Ding- und Figurencollagen zusammen, in denen Gegenstände und Figuren statisch vor einem neutralen Hintergrund auftauchen, während wiederum andere repetitive Bewegungsabläufe ausführen. Auf Ton verzichtet Aerschmann ganz bewusst – die akustische Leere fordert die Betrachtenden zusätzlich dazu auf, sich ganz auf die visuellen Eindrücke einzulassen. Die aus der Realität gelösten Fragmente entwickeln in den Werken Aerschmanns ein eigenes Leben, wobei vieles rätselhaft und surreal bleibt. Die sorgfältig komponierten Choreografien der Motive – Figuren, Pflanzen, Farben, Perspektiven, Bewegungen, Schattenwürfe – werden durch den Künstler gekonnt dahingehend arrangiert, dass sich ein harmonisches Gleichgewicht zwischen den einzelnen Elementen einstellt. Dieser Eindruck wird unterstützt durch den ruhigen Fluss der Bewegungen, welcher wie ein Puls viele Werke Aerschmanns durchzieht. Dadurch entwickeln die Installationen eine meditative, fast hypnotische Kraft, die – verweilt man nur genügend lang – einen Sog auslöst: Die Motive aus den Installationen verknüpfen sich mit der Umgebung und den inneren Bildern der Betrachtenden. Das Augenmerk richtet sich auf alles und nichts, da der Künstler keine Handlung und keine Hauptfigur anbietet, sondern nur scheinbar Nebensächliches. Automatisch versuchen wir einzuordnen, einen Sinn zu erkennen und bedienen uns dabei ständig unseres Gedächtnisses, wodurch wir selbst Teil des Werks werden. Mit diesem Wahrnehmungsprozess, der durch das bewegte Bild und das Raumerlebnis geschieht, entsteht zwischen Werk und Betrachtenden eine persönliche Beziehung; die Werke werden zu Sinnbildern, welche existentielle Fragen berühren wie etwa jene nach der Vergänglichkeit oder nach dem Umgang mit der Natur. Durch das formale Element der Endlosschleife ensteht eine Vielzahl von Realitäten, welche Ewigkeit auszustrahlen scheinen, dies umso mehr in Schlossräumlichkeiten, welche Jahrhunderte überdauert haben.