Über die Hängebrücke nach Leissigen

Über die Hängebrücke nach Leissigen

Über die Hängebrücke nach Leissigen

Herbstzeit ist Wanderzeit, und am Thunersee gibt es viele Gelegenheiten zu wandern. Heute machen wir uns auf den Weg von Aeschiried nach Leissigen. Die Wanderung wird uns über die Hängebrücke über den Spissibach führen, welche als erste dieser Art gebaut wurde, um den Panorama- Rundweg rund um den Thuner- see zu ermöglichen. Nutzen wir also diesen schönen Herbsttag und wandern die linke Thunerseeseite entlang.

Text: Lars Wyss  |  Fotos: Lars Wyss

Kurvig, ja abenteuerlich geht es mit dem Postauto von Spiez nach Aeschiried. Für Einheimische ist diese Strecke wohl ein leichtes Spiel, nichtschwindelfreien Wanderanfängern könnte es etwas mulmig werden; vielleicht wirkt ja die nostalgische Tonfolge des Dreiklang- horns – wenn sich das Postauto um die Kurven am Berghang schlängelt – beruhigend. Bis zur Station Aeschiried Schulhaus fahren wir, die gleich in der Nähe des gutbekannten Restaurant Panorama liegt. Und wir bekommen tatsächlich ein eindrückliches Panorama weit über den Thunersee zu sehen, und es wird noch besser werden… Doch was ist überhaupt unser Programm? Da es nun an der Zeit ist, unsere Wanderung zu beginnen: Den Panoramaweg Aeschiried wollen wir begehen, uns durch Wiesen und Wälder führen lassen, um über die Hängebrücke Leissigen über dem Spissibach zu jonglieren und uns bald den hungrigen Magen im Restaurant auf der Meielisalp zu füllen – der Abstieg nach Leissigen wird uns hoffentlich umso leichter fallen.

Herrliche Voralpenluft füllt unsere Lungen, und wir sind bereit, die Abzweigung nach links einzuschlagen. Zunächst führt uns der Weg durch eine Kuhweide, bis wir einen lichten Wald am Hang erreichen. Während es auf der Kuhweide gilt, sich nicht an den elektrisch geladenen Zäunen zu verletzen – und vor allem nicht an den «falschen Ort» zu treten –, säuselt der Wind kalt, aber angenehm durch die wankenden Äste des Waldes, und die Sonne glitzert mit schwindender Wärme zwischen den Stämmen hindurch. Dies sollte jedoch nur ein kleiner Abstecher gewesen sein. Sobald wir das leicht karge Waldstück am Hang verlassen, eröffnen sich uns grüne Hügelketten; manch einer könnte meinen, man habe sich in Tolkiens Auenland verwirrt. Das Gelände ist geprägt von weiten Matten, die über den Hang gelegt sind, nur vereinsamte Bäume zieren die Landschaft. Der Wind streicht über die Halme der Gräser und die Seeluft erreicht einen aus der Ferne. Es ist ein Gefühl der Geborgenheit, ein Gefühl der inneren Ruhe, das einen überkommt, und manch einer möchte hier eine Zeit verweilen. Gerne dreht man sich auch sehnsuchtsvoll zurück, um einen Blick auf den Thunersee zu werfen. Doch wir wollen weiterwandern! Steht uns doch eine kleine Steigung bevor. Ab und zu trifft man noch auf eine Hütte, doch wie steiler es wird – und man spürt es in den Beinen und Füssen –, gibt man sich der Waldeinsamkeit hin: Jetzt tauchen wir ein in den Wald und der Herbst zeigt sich in seiner ganzen Pracht.

Seinen Höhepunkt hat der Herbst schon erreicht, ja doch genau darin liegt seine Essenz. Die Blätter sind gefallen, die Bäume wirken morbid, und der Wald ist gezeichnet von einer vergänglichen Schönheit des Sterblichen. Vor kurzem muss es geregnet haben – der Boden ist feucht, die Erde weich; es liegt ein Geruch des Natürlichen in der Luft, frisch und zugleich morsch ergibt sich uns der Wald, welcher in Dunst gehüllt ist. Kann es sein, dass es gar nach Pilzen riecht, oder ist es dafür vielleicht schon zu spät? Das Laub liegt am Boden, es ist rötlich gefärbt, manchmal gar grau gezeichnet. Grün bleibt nur das Nadelholz, welches den Winter überleben soll. Manche mögen sich schon an den Winter erinnert fühlen, der bald einmal kommen wird – zumindest die, welche ihn lieben –, aber wollen wir diese frische Herbstluft noch einen Moment geniessen.

Und so wandern wir durch den Wald. Manchmal laufen wir auf grossen Wegen, manchmal begehen wir schmale Pfade. Die mit Kieselsteinen gepflasterten Wege führen meist geradeaus und sind gut begehbar, die naturbelassenen Pfade führen uns durch Gewächs und Wildnis. Bei manchem Abstieg begehen wir in den Boden gestampfte Treppen, die teilweise schon abgetreten sind, überqueren kleine Brückchen und steigen über ausgerissene Baumstümpfe. Nicht nur einmal fliesst ein Bach über den Weg und unsere Schuhe und Socken werden nass. Während uns im getrübten Zwielicht des Waldes nur wenig Licht erreicht, erblicken wir an den Öffnungen immer wieder den Thunersee und die anliegenden Berge. Die Herbstsonne scheint herrlich, und auch wenn der Wind kalt bläst, erreicht man durch das Wandern angenehme Körpertemperaturen.

Mehr und mehr kommt jedoch das Bedürfnis auf, endlich die Hängebrücke Leissigen zu erreichen. Nach doch einigem Auf und Ab sehnen wir uns nach einer Verpflegung auf der Meielisalp, und immer wieder werfen wir einen Blick durch das nächste Geäst, ob nicht irgendwo eine Brücke zu erkennen ist.

Und irgendwann… zwischen roten Blättern und wankenden Ästen in der Ferne nur unscheinbar erkennbar – da liegt sie: die Hängebrücke Leissigen. Die Hängebrücke bei Leissigen wurde als erste von sechs geplanten Hängebrücken 2011 im Kontext des «Panorama Rundweg Thunersee» gebaut. Sie führt über den Spissibach und erspart den mühsamen Auf- und Abstieg, um die Schlucht zu überwinden. Brücken wie diese sollen ermöglichen, dass 56 Kilometer um den Thunersee ohne Unterbruch erwandert werden können. Die Hängebrücke Leissigen zieht sich in fast 60 Meter Höhe über die Schlucht und ist 142 Meter lang. Wer bei der Fahrt nach Aeschiried schon Schwindel verspürte, wird hier wohl an seine Grenzen stossen. Es muss jedoch gesagt werden, dass die Brücke sehr begehfreundlich konstruiert wurde; sie schaukelt relativ wenig, der Boden ist nicht transparent und das Geländer ist ausreichend hoch. Die Homepage von «PostAuto» beschreibt sie gar als «schwindelfreies Erlebnis». Steckt da vielleicht doch eine gewisse Ironie dahinter?

Sobald wir die Hängebrücke überquert haben, bleibt noch ein kurzes Stück zu wandern, welches sich bei leerem Magen aber in die Länge ziehen kann, und wir sind auf der Meielisalp. Manch einer verspürt wohl nun die Lust sich im ansässigen Restaurant zu verpflegen, wenn er nicht selbst Proviant mitgenommen hat. Eines kann man davon unabhängig jedoch sagen: Das Panorama auf den Thunersee ist überwältigend, ja einzigartig. In seiner ganzen Länge blickt man auf den Thunersee, die umliegenden Berge und gar auf die Stadt Thun am Horizont. Das lässt das Wanderherz höher schlagen, und was für eine Belohnung nach einer für die Beine zwar fordernden, aber im Eigentlichen doch ganz gemütlichen Wanderung.

Der Abstieg nach Leissigen ist im Nu geschafft. Wir schlängeln uns den Hang hinunter und treffen an einer wunderprächtigen Linde auf eine Gedenktafel für den berühmten Schweizer Mahler Ferdinand Hodler, welcher in seinem Werk auch den Thunersee verewigt hat. In einem letzten Abschnitt zeigt sich der Wald noch einmal in seiner ganzen Schönheit – was für eine Befriedigung für die Wanderseele.

Die Heimreise von Leissigen aus gestaltet sich erfreulicherweise unproblematisch. Stündlich fährt ein Zug Richtung Spiez oder auch Interlaken. 

Herrliche Voralpenluft füllt unsere Lungen.

«Immer wieder werfen wir einen Blick durch das nächste Geäst, ob nicht irgendwo eine Brücke zu erkennen ist. »