Die Magie der Pfingstrosen
Die Magie der Pfingstrosen
Im Päoniengarten der Familie Shepherd-Kobel in Sigriswil befinden sich über 130 verschiedene Stauden- und Strauchpfingstrosen. Im März beginnt jeweils der erste Blattaustrieb. Die Vielfalt ist unglaublich und wir erleben Schönheit und Duft in Harmonie. Ein Rundgang durch den liebevoll gestalteten und gepflegten Päoniengarten ist auf Anmeldung möglich.
Text: Christine Hunkeler | Fotos: Katharina Shepherd-Kobel
Das grösste Interesse zum jetzigen Zeitpunkt gilt den Wildformen, die jedoch nicht immer einfach zu finden sind. Die Wildarten kommen aus unterschiedlichen Klimazonen und nicht alle davon finden hier auf 770 Metern über Meer die optimalen Bedingungen. Katharina Shepherd-Kobel lebt aber nach dem Motto «Frisch gewagt ist halb gewonnen»: sie versucht jedes Mal das Beste und ist gespannt, wie sich die Neuankömmlinge akklimatisieren und entwickeln. Sie erzählt, dass es bei den meisten Päonien rund vier Jahre dauert, bis sie so richtig in Form kommen. Für Katharina Shepherd-Kobel sind all die Blumen und Pflanzen in der Natur und in ihrem Garten eine riesige Freude und Quelle und ein Ort des Staunens und Glücks. Glück und Staunen wachsen bekanntlicherweise, wenn man sie teilen und weitergeben kann. Dies möchte auch der Päoniengarten in Sigriswil tun.
Frau Shepherd-Kobel, weshalb sollte man Pfingstrosen bzw. Päonien pflanzen?
Carsten Burkhardt, der grosse Päonienspezialist aus Deutschland, hat einmal gesagt: «Weil die Schnecken sie nicht fressen, die Wühlmäuse sie nicht anknabbern und sie andere schöne Eigenschaften haben, inklusive der sonst so schönen Pflegeleichtigkeit und Langlebigkeit. Und natürlich, weil sie so herrlich duften.» Beim Kauf von Pfingstrosen ist jeweils zu beachten, dass diese Pflanzen sehr langlebig, aber auch keine Schnellstarter sind. Im ersten Jahr kämpft die Pflanze ums Überleben, im zweiten Jahr setzt sie sich langsam durch, und im dritten Jahr setzt sie so richtig zum Sprung an. Ab diesem Augenblick können Sie lange Zeit Freude mit ihr haben. Wer’s schneller mag, der sollte besser «Fleissige Lieschen» (Impatiens) kaufen.
Es gibt viele phantastische Langzeitblüher wie zum Beispiel Rosen. Weshalb nun ausgerechnet Päonien, die vom ersten Aufblühen bis zum Welken nur ein bis zwei Wochen pro Jahr ihr ganzes Blütenfest hervorzaubern?
Natürlich kann man sagen, es gebe frühe und späte Sorten, einige Wildformen und Strauchpäonien öffnen oft schon Mitte April ihre ersten Blüten, während die spätesten Stauden bis Mitte Juni oder später noch Blüten hervorbringen. Meine unglaubliche Begeisterung und Passion liegt anderswo: Gerade weil ihr Blühen so kurz ist, sind sie so unglaublich! Sie machen die Blütenzeit zum Fest, das Aufblühen zur Sensation. Man eilt hinaus in den Garten, denn was ich heute nicht sehe, ist morgen vorbei. Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr übe ich Zazen. All meinen Lehrern und Lehrerinnen verdanke ich viel. Zu diesen Lehrern gehören auch unsere vier (jetzt erwachsenen) Kinder und viele Pflanzen, besonders die Päonien. Sie lehren mich die Präsenz im Augenblick, «Carpe diem». «Nutze den Tag» sagt der Lateiner, «nutze den Moment» jeder Zenlehrer, «sei gegenwärtig im Jetzt». Also denke ich auch an die Rose des kleinen Prinzen, die so einmalig ist, weil er so viel Zeit und Hingabe für sie verwendet hat. «Adieu», sagte der Fuchs. «Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» «Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar», wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken. «Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, macht deine Rose so wichtig ... Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen», sagte der Fuchs ...
Was fasziniert Sie so an den Pfingstrosen?
Eigentlich kann ich kaum sagen, weshalb gerade Päonien diese Magie auf mich ausüben. Meine ersten Begegnungen waren Päonienausstellungen im Winter in Japan, im Hachimannschrein in Kamakura, als im Januar unter Strohhüten und gelegentlich mit Schneekappen unglaubliche Päonienblüten zu bestaunen waren. Erst Jahre später fand ich heraus, dass all jene Pflanzen künstlich in Treibhäusern für die Winterausstellung mit entsprechenden Wärme- und Lichtverhältnissen vorgezüchtet wurden, und da sie auch frostige Temperaturen ertragen, werden sie für die Ausstellung in Töpfen temporär und gekonnt platziert. Zur Geburt unseres ersten Kindes am Pfingstsonntag brachte meine Tuschmallehrerin ein Päonienbild ins Spital. So wurde die Päonie für mich wie ein Symbol für dieses unfassbare Geheimnis und Wunder, unser erstes Kind zu empfangen.
Dauert das Staunen und die Freude an den Päonien tatsächlich nur so kurz?
Bei weitem nicht! Wenn im Spätherbst alles zur Neige kommt, wenn die Tage kurz und neblig sind und die ganze Natur auf Rückzug und Ruhe umstellt, dann sind sie schon da, die ersten prallgefüllten Knospen, die ihre Augen getrieben haben und überall schon ein neues Kommen, einen wiederkehrenden Frühling verheissen! Manchmal im Winter, wenn ich die Blumen vermisse, gehe ich zu den Päonien. Ihre Knospen machen sichtbar, was sich meist im Verborgenen unter der Erde vorbereitet. Früh im März beginnt der Blattaustrieb. Diese Vielfalt! Es ist unglaublich. Besonders die Wildformen der Staudenpäonien zeigen, was Farben und Formen betrifft, sehr besondere Austriebe. Das Heranwachsen der Knospen bei den Stauden direkt aus der Erde und aus den holzigen Zweigen bei den Sträuchern geschieht Jahr für Jahr in unglaublich rasantem Tempo. All die unterschiedlichen Laubformen und Farben allein sind fantastisch.
Wie sieht es mit der Pflege der Pflanzen aus?
Päonien sind geeignete Pflanzen für jeden Gärtner. Ein guter Boden mit Drainage ist von Vorteil. Das Zurückschneiden im Herbst ist wichtig, um reichlich Blüten und gute Strauchformen zu bekommen. Päoniengrauschimmel kann eine grössere Herausforderung sein und sollte kontrolliert werden.
Wer mehr über die Päonien erfahren möchte, dem sei ein Rundgang im wunderschönen Päoniengarten in Sigriswil inklusive Führung empfohlen. Gleichzeitig findet im Haus eine Ausstellung von Tuschebildern statt. Besucher sind auch dazu eingeladen.
Und natürlich, weil sie so herrlich duften.