Von der Lehre in Deutschland über hohe Patisserie-Positionenim Gstaad Palace und KKL Luzern bis hin zur Eröffnung der eigenen Backstube in Wilderswil – Roger Meyer hat einen weiten Weg hinter sich. Und weiss: Auch mit 62 Jahren hat man noch viel Luft nach oben.
Text: Rebekka Affolter | Bilder: Alina Dubach

Mehl und Wasser mischen, den Sauerteig dazu, gut kneten und ab zum nächsten Punkt auf der Pendenzenliste. Croissants: Für das beliebte Schweizer Zmorge auf dem Arbeitsweg muss die Masse «touriert» werden. Roger Meyer rollt den Teig aus, faltet ihn, rollt ihn wieder aus, faltet ihn, rollt ihn wieder aus … Beinahe automatisch laufen die Vorbereitungen in der Backstube. Derweil fahren draussen die ersten Kund:innen auf den Parkplatz. Der Duft nach frischem Brot und Pain au chocolat liegt in der Luft …

So sieht ein typischer Morgen in der kleinen Bäckerei auf dem Bödeli in Wilderswil aus. Zwischen den Seen und Bergen gut versteckt liegt nur drei Minuten von der Autobahn Roger’s Bäckerei «anno dazumal». In den Anfängen im Jahr 2017 wurden hier Brote und Sandwiches durch das Fenster verkauft, inzwischen ist eine mobile Ladenfläche eingerichtet. Wer sich hier versorgen will, muss schnell sein – oder am Vortag reservieren. Wobei die Reservationen begrenzt sind und auch hier gilt: «Dr ender isch dr gschwinder.»
Geöffnet trotz leerer Regale
«Teilweise haben wir schon am Mittag keine Ware mehr», erklärt Jane Parkin. Sie ist Buchhalterin, Bäckersfrau und Verkäuferin mit Leib und Seele. Geschlossen wird der Laden trotz leerer Regale nie. «Selbst wenn ich keine Ware mehr anbieten kann, unsere Tür bleibt offen – mit Ausverkauft-Schild und einem Hinweis auf Facebook, Instagram und Google.»
Oft schauen die Leute trotzdem vorbei. Ganz leer geht die Kundschaft nämlich nie aus: Ein Gespräch oder eine Showeinlage – Roger beim Teigmischen, Kneten oder Backen – hat das Ehepaar immer auf Lager. Am Nachmittag werden die Rohlinge für den nächsten Tag vorbereitet und in den frühen Morgenstunden wandert der frisch ausgeruhte Teig in den Ofen – und das Spiel beginnt von vorne.

Das Qualitätssiegel
Roger’s Backstube ist minimal eingerichtet: ein Ofen, eine Knetmaschine und ein Teigausroller, mehr braucht es nicht. Ein weiterer Grund, weshalb die Bäckerei den Namen «anno dazumal» trägt: «Wir haben keine Convenience-Produkte», erklärt der 62-Jährige. Alles ist handgemacht, wie früher eben. Zudem müssen die Produkte den höchsten Qualitätstest hinter sich bringen: «Ich produziere nur, was ich selbst gerne esse», sagt Roger. «Nussgipfel», lacht Jane, «findet bei uns aus diesem Grund niemand.»
Was sie haben, ist dafür einzigartig. «Die Brote, die wir hier verkaufen, findet man sonst fast nirgends», erklärt Roger. «Keine Geheimrezepte, es macht sie einfach niemand», ergänzt Jane. «Dafür sucht man ein normales Weiss- oder Ruchbrot bei uns vergebens.» Nur mit den Zimtschnecken folgen sie einem beliebten Trend. «Hier spricht die Nachfrage einfach für sich», meint Jane.

Während Roger zufrieden ist mit seinen Produkten, will er trotzdem nie stehen bleiben. «Selbst mit meinen 62 Jahren weiss ich: Irgendwo auf der Welt gibt es jemanden, der es anders und besser macht. Während man sich nicht immer neu erfinden muss, kann man sich trotzdem ständig verbessern.» Sein grosses Vorbild: die französischen Bäcker:innen. «Keine Nation ist bekannter für ihre Backkünste.» Wenn er in den Ferien eine Bäckerei nach ihrer Qualität beurteilen will, bestellt er als Erstes ein Croissant. Was ein gutes Gipfeli ausmacht? «Aussen knusprig, innen luftig mit viel Butter – aber kein Fett! Zudem muss es einen festen Biss haben.» So kann man das französische Gebäck richtig geniessen.
Hochs und Tiefs
Apropos Ferien. Während werktags nicht viel Freizeit übrig bleibt, siehts am Wochenende anders aus. «Wir machen oft und gerne Ausflüge mit unserem Camper und unseren Hunden», sagt Jane. Und trotz des Klischees vom dauerarbeitenden Selbstständigen kommen die beiden immer wieder zu Ferien.


«Inzwischen wissen wir, zu welchen Zeiten die Bäckerei weniger gefragt ist – heisst, welche Zeit wir für uns nutzen können.» Weihnachten sei ruhiger, als man erwarten würde: Immerhin laufe zu dieser Zeit der Ofen in den heimischen Stuben auf Hochtouren. Nur die beliebtesten Güezli – Florentiner, Spitzbuebe, Vanille-Kipferl und Zimtsterne – sind bei Rogers Bäckerei neben dem normalen Sortiment zu kaufen. Wie auch Christmas Cake und Mince Pies – Spezialitäten aus England.
Mit Süssem durch schwere Zeiten
Seit der Pandemie wissen das noch mehr Leute zu schätzen. Während viele Unternehmen mit Corona zu kämpfen hatten, konnten Roger und Jane langfristig Kund:innen gewinnen. «Der Lockdown trieb die Menschen vermehrt nach draussen», erklärt Jane. Wer in Wilderswil spazieren will, zieht es unweigerlich am Spielplatz oder Bach vorbei – wodurch man die Bäckerei nicht missen kann. «Wir gewannen zu dieser Zeit sehr viele Kund:innen – die bis heute regelmässig einkaufen.»
Bekannt ist das Geschäft aber nicht nur in der Region, sondern auch international. «Wir haben das Glück, es auf ein paar Reise-Blogs geschafft zu haben», sagt Jane. Insbesondere Reisende aus Amerika und Asien kommen oft mit einer To-do-Liste in die Ferien – für viele ist die kleine Backstube in Wilderswil ein Muss. «Manchmal stehen die Tourist:innen schon vor 8.00 Uhr auf der Matte, damit sie wirklich etwas abbekommen.» Denn: «Danach kann ich nicht garantieren, dass ich die gewünschten Produkte noch auf Lager habe.»

Ab in den Tag
Während bereits der Sauerteig für den nächsten Tag aufgeht, gibt Roger den Produkten für heute den letzten Schliff. Die Erdbeertörtchen erhalten Rahmkrönchen, die Kuchen werden mit Puderzucker überzogen. Roger holt Brote und Brötchen aus dem Ofen, während Jane sie liebevoll in das Regal einsortiert. Mit vollen Auslagen sind sie bereit für den ersten Ansturm. Was am Nachmittag noch zu haben ist, wird sich zeigen.

Das Bäcker-Team im Porträt
In Deutschland geboren, hat Roger dort die Konditorei-Lehre absolviert und anschliessend seinen Konditoren-Meister in Köln gemacht. Nach den verschiedensten Stellen und der ersten eigenen Konditorei zog es ihn ins Ausland, genauer gesagt in die Schweiz. Auch hier fand er sich bei den verschiedensten Unternehmen wieder – unter anderem dem Gstaad Palace und dem KKL Luzern als Chef Patissier – bevor er sich entschied, erneut sein eigenes Geschäft zu eröffnen. Warum? «Weil ich gutes Brot liebe», erklärt Roger. So entstand die Bäckerei «anno dazumal».
Inzwischen gehört auch seine Frau Jane fest zur Bäckerei. «Zu Beginn habe ich ihm nur ausgeholfen, inzwischen ist es meine Berufung, meine Leidenschaft», erzählt die Engländerin, die in Wilderswil aufgewachsen ist. Bei der Wohnung und Bäckerei handelt es sich um ihr Elternhaus – ein ehemaliges Hotel, für das ihre Eltern von Grossbritannien in die Schweiz gezogen sind. «Mich erwischt man fast nie beim Backen – nur für Englischen Christmas Cake (Weihnachtskuchen) und Mince Pies (ebenfalls englisch und süss) stelle ich meine Backkünste auf die Probe», schmunzelt sie.
Roger's Bäckerei «anno dazumal»
Grenchenweg 1, 3812 Wilderswil
Telefon 079 206 75 78 / 079 407 18 12
info@rogers-baeckerei.ch
Mittwoch, Donnerstag & Freitag: 7 – 13 Uhr, 15 – 19 Uhr
Samstag: 8 – 12 Uhr
www.rogers-baeckerei.ch