Ueli Kestenholz: «Risiko ist nicht gleich Risiko»

Ueli Kestenholz: «Risiko ist nicht gleich Risiko»

Ueli Kestenholz: «Risiko ist nicht gleich Risiko»

Was ihn antreibt ist die Freiheit. Was ihn begeistert ist das Abenteuer. Doch wie sieht sein Leben hinter den Kulissen aus? Ueli Kestenholz im persönlichen Gespräch über den Umgang mit Risiko, seine Vaterrolle und seine Pläne für die Zukunft.

Text: Janina Stucki|Fotos: aus dem Buch «Freiheit – meine Träume lernen fliegen»

Das Chalet am Hang oberhalb vom Gwatt mit einem herrlichen Ausblick auf das Berner Alpenpanorama und den Thunersee wirkt einladend und freundlich. Ein grosser Grill, ein Sitzplatz, aufgetürmtes Feuerholz, Spielsachen, eine Photovoltaik-Anlage. Das Heim einer ganz normalen Familie aus dem Berner Oberland: Papa, Mama, Kind. Er arbeitet voll, sie in Teilzeit, der Junge wurde gerade eingeschult. Seit zehn Jahren lebt Ueli Kestenholz da, unweit des Ortes, wo er auch aufgewachsen ist und seine Liebe für den Schneesport entdeckt hat. Man kennt ihn, nicht nur in der Nachbarschaft, sondern im ganzen Berner Oberland und eigentlich in der ganzen Schweiz. Bekannt wurde er als Profi-Snowboarder. Als solcher gewann er auch zahlreiche Preise und Medaillen. Mitt- lerweile besteht sein Alltag zu grossen Teilen aus verschiedenen Foto- und Filmprojekten, die sich alle um dasselbe Thema drehen: die Geschwindigkeit. Ob mit Snowboard, Gleitschirm oder als Speedrider, Ueli nutzt seine langjährige Erfahrung und sein Wissen über Wind, Schnee und die Berge. «Meine zweite Hauptsportart nebst dem Snowboarden ist das Speedriding. Hier lassen sich die Geschwindigkeit des Freeridings und die Leichtigkeit des Gleitschirmfliegens perfekt kombinieren», erklärt Ueli. Seine Leidenschaft wirkt ansteckend und schon bald hat er im Gegenüber ein zuvor unbekanntes Bedürfnis geweckt. 

Seine Projekte scheinen auf den ersten Blick waghalsig und riskant. Die Bilder des Projekts «Play Gravity», welches unter anderem die Speedride-Befahrung von Eiger, Mönch und Jungfrau im Jahr 2007 beinhaltet, verschlagen einem den Atem und man stellt sich die Frage: Was steht da für ein Mensch dahinter? Das Argument «Jugendlicher Leichtsinn» scheint nicht mehr passend – Ueli war damals 32 Jahre alt. Darauf angesprochen, wie er dieses Risiko mit seiner Vaterschaft vereinbart, zeigen sich seine Überlegungen erstaunlich reflektiert. Eine restriktivere Risikokalkulation? «Jein. Was für einige Zuschauer oft leichtsinnig rüberkommt, wurde von mir in monatelanger Planung bis ins kleinste Detail studiert. Meine Aktionen sind immer so geplant, dass wir hochgradig flexibel auf das Wetter oder andere externe Faktoren reagieren können. Das bedeutet zwar einen Riesenaufwand und enorme Geduld, aber so läuft es bei mir.» Dass trotz allem ein gewisses Restrisiko besteht, streitet er nicht ab. «Ich bin, wer ich bin. Ich glaube nicht, dass es meinem Sohn gut täte, würde ich mich in meiner Passion zurückhalten. In meinem Beruf kann ich die Risiken selbst einschätzen. Ich bin verantwortlich dafür, dass mir nichts passiert. Selbstverständlich hat dies – auch im Gedanken an meine Familie – oberste Priorität. Ich handle und plane danach. Persönlich fürchte ich mich daher eher vor Risiken, die ich nicht selbst beeinflussen kann. Ob Fussgänger oder Fahrzeuglenker, auf der Strasse beobachte ich eine Art der Risikofreudigkeit, die ich überhaupt nicht verstehen kann. Setze ich mich einem Risiko aus, bin ich zu 100 Prozent konzentriert. Das war aber auch schon vor der Geburt Kalanis.» 

 

Kalani auf der anderen Seite ist mit dem doch eher ungewöhnlichen Beruf des Vaters aufgewachsen. Kaum erstaunlich, dass er noch keine drei Jahre alt war, als er das erste Mal auf den Skis stand. Der Gedanke liegt nahe, dass er wohl auch keine andere Wahl hatte. Weit gefehlt: «Kalani wollte unbedingt Ski fahren. Kinder haben einen grossartigen, natürlichen Bewegungsdrang und wollen eigentlich alles ausprobieren, was sie sehen. Und gesehen hat er halt schon viel.» Zum Beispiel seinen Papa beim Gleitschirmfliegen. «Er konnte kaum richtig sprechen, als er angefangen hat, sein Inte- resse fürs Gleitschirmfliegen kund zu tun. Hier haben seine Mama und ich aber länger gezögert. Vor allem Petra brauchte etwas Zeit, sich mit diesem Gedanken anzufreunden.» Als es dann so weit war – Kalani war drei Jahre alt –, sei es für die Eltern eine grössere Sache gewesen als für den Kleinen. «Sein Umgang damit war beeindruckend gelassen. Er zeigte zwar Freude, befand den Spielplatz aber für ebenso unter- haltsam. Angst hatte er keine.»

«Ich bin nicht der Typ, der alles zehn Mal hinterfragt und durchplant».

Ueli war 34 Jahre alt, als er Vater wurde, und im Nachhinein froh, dass dies nicht früher zum Thema wurde. «Ehrlich gesagt, habe ich mich mit Mitte Zwanzig nie mit dieser Frage auseinandergesetzt. Mein Leben wäre entweder ganz anders verlaufen oder aber ich hätte wahnsinnig viel versäumt. Mittlerweile kann ich mein Berufsleben in weiten Teilen meinem Privatleben anpassen und kann mehr Zeit zu Hause verbringen, beziehungsweise kann meine Projekte von hier aus lenken.» Zweifel an der «Kindertauglichkeit» seines Lebens habe er kaum gehabt. So, wie er erzählt, müssen sich diese im Rahmen eines jeden werdenden Vaters gehalten haben. «Ich bin nicht der Typ, der alles zehn Mal hinterfragt und durchplant. Ich hatte einfach ein gutes Gefühl – und bis jetzt hat sich das bestätigt.»

Seine natürliche Zuversicht belohnt ihn auch in beruflicher Hinsicht. Die «Ich-AG Kestenholz» läuft gut, gerade konnte er sein Buchprojekt mit Steffi Buchli beenden und ist mächtig stolz darauf. Nun will er sich etwas mehr Zeit nehmen für sein VIP (very important passenger) Tandem- projekt (viptandem.ch). Die Idee dahinter beinhaltet mehr, als bei klassischen Tandemflügen möglich ist. «Mein VIP-Package dauert wahlweise einen halben oder einen ganzen Tag und ermöglicht ein einmalig intensives Erlebnis. Dabei habe ich die Möglichkeit, direkt auf die Bedürfnisse der VIPs einzugehen und das Programm anzupassen. Klassische Tandemflüge tragen oft den Charakter der Massenabfertigung – rauf, runter, fertig. Mir geht es darum, einen tollen Tag zu verbringen, wo auch mal noch ein Mittagessen oder zumindest ein Kaffee Platz hat.» Die Tandembetreuung ist entweder für einen Gleitschirmflug oder auch – exklusiv – für einen Speedriding- Ausflug.

 

Soeben ist der Bildband «Freiheit – Meine Träume lernen fliegen» erschienen. 

Autorin: Steffi Buchli

ISBN 978-3-03818-068-5, CHF 59.– inkl. DVD  
Erhältlich im www.weberverlag.ch oder im Buchhandel

 

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