Albert Rösti: Brückenbauer zwischen alter und neuer Zeit
Albert Rösti: Brückenbauer zwischen alter und neuer Zeit
Es ist ein kalter Nachmittag und der Wind pfeift durch die Bahnhofsunterführung in Uetendorf. Im Büro von Albert Rösti an der Bahnhofstrasse aber laufen die Telefone heiss. Dort führt er seit 2013 eine kleine Unternehmung, die verschiedene Unternehmen und Personen aus Wirtschaft und Politik in Sachen Öffentlichkeitsarbeit berät.
Text & Fotos: Alain Diezig
Bereits beim Eintritt wird man von Bildern des Adelbodner Künstlers Björn Zryd empfangen. Es sind aussergewöhnliche Bilder – sie zeigen Kühe, aber in ihnen ist keine Spur von Altertümlichkeit. Stattdessen dominieren kräftige Farben und ausdrucksvolle Posen, eine eindrückliche Mischung aus Tradition und Moderne. «Das blaue ist mein Lieblingsbild», meint Albert Rösti. Im Verlauf des Gesprächs wird auch bald klar, dass die Bilder nicht nur zufällig dort hängen – wie der Künstler Zryd versucht auch der Politiker Rösti, eine Brücke zu schlagen zwischen alter und neuer Zeit.
Wie findet Rösti wohl neben seinem politischen Engagement noch Zeit für seine Firma? «In der Politik muss man immer einen Plan B haben», meint er dazu. Für einen Plan B besteht aber vorderhand überhaupt kein Anlass – seit vor Weihnachten bekannt geworden ist, dass er die Nachfolge Toni Brunners an der Spitze der SVP Schweiz übernehmen würde, ist Rösti gefragter als je zuvor.
Nichts davon hindert ihn aber, den vollendeten Gastgeber zu geben und das trübe Wetter mit Kaffee und Anekdoten zu vertreiben. Albert Rösti betreibt Politik nicht nur, er ist in ihr in seinem Element. So entspinnt sich ein Gespräch über seine politische Philosophie und einige der Stationen, die er auf dem Weg zum Parteipräsidium der grössten Schweizer Partei durchlaufen hat. Schon bald wird klar, warum er so gut ankommt: Rösti ist volksnah, ohne anbiedernd zu sein; bodenständig, aber nicht verbohrt; und stets ist er offen für das Gespräch, ohne dabei seine eigene klare Linie zu verleugnen. «Es ist eine Frage des Naturells», meint Rösti, dem die Nähe zu den Leuten in der Politik immer sehr zugesagt hat.
Dass es ihn überhaupt nach Uetendorf verschlagen hat, wo er heute als Gemeindepräsident amtet, ist eigentlich seiner Frau geschuldet. Theres Rösti-Neuenschwander ist gebürtige Uetendorferin und so schlug er hier seine Wurzeln, am westlichen Ende des Berner Oberlandes, zwischen Berg- und Seesicht.
«Führe, folge oder weiche, das ist meine Devise.»
Angefangen hat ja eigentlich alles in Kandersteg, wo Albert Rösti als Sohn eines Landwirts geboren wurde. Kandersteg hat ihn geprägt – auch politisch. Nicht nur, dass im touristisch geprägten Ort sowohl im Dorf als auch zuhause fleissig politisiert wurde – auch jener andere bekannte Kandersteger Politiker, alt Bundesrat Adolf Ogi, hatte seine Hände im Spiel. Zwar haben sie das Heu nicht immer auf der gleichen (politischen) Bühne, die zwei charismatischen Kandersteger. Trotzdem ermunterte Ogi den jüngeren Rösti, seinen Weg in die Politik zu suchen.
In welcher Partei das geschehen sollte, war klar. Das Berner Oberland ist eine Hochburg der SVP, und das hat laut Rösti gute Gründe, die weit in die Geschichte und Geografie der Gegend zurückreichen: «Der Oberländer ist ein Bergler – er ist es gewohnt, gegen Naturgefahren zu kämpfen, und ist darum bodenständiger; und weil er so traditionsverwurzelt ist, ist er auch nicht unbedingt offen für krampfhafte Veränderungen.»
Nach dem Abschluss seiner Ausbildung, die den Agronomen sogar bis in die Vereinigten Staaten führte («Was mich am meisten erstaunt hat an den Amerikanern war ihr Patriotismus – und zwar von links bis rechts», erinnert er sich an seine Eindrücke aus Rochester, NY), nahm er dann seine politische Karriere in Angriff. Zuerst in der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern, wo er bis 2006 als Generalsekretär amtete. «Eine gute Stelle», sagt Rösti dazu. Sie ermöglichte ihm einen tiefen Einblick in die Welt der Politik und Verwaltung, aber mehr noch ermöglichte sie ihm den Aufbau eines persönlichen Netzwerks, das in der Politik so wichtig ist. Dann ging es Schlag auf Schlag: Zentralvorstand SVP Schweiz, Gemeinderat in Uetendorf, Nationalrat, Gemeindepräsident und, zu guter Letzt, wohl Präsident der SVP Schweiz. Die Wahl ist am 23. April 2016.
Eine beeindruckende politische Karriere. Aber natürlich verlief nicht immer alles nach Plan. Sein Versuch, in den Berner Regierungsrat gewählt zu werden, misslang und auch Röstis Zeit als Direktor der Schweizer Milchproduzenten endete im Jahr 2013. «Führe, folge oder weiche – das ist meine Devise», meint Albert Rösti heute dazu. «Da ich nicht mehr führen konnte und auch nicht folgen wollte, musste ich weichen – Es war ein lehrreicher Prozess.» Wie Albert Rösti selbst steht auch Uetendorf zwischen Tradition und Moderne, zwischen der Stadt Bern und dem Berner Oberland – «eine privilegierte Lage!», so Rösti. Tatsächlich hat der Ort einiges zu bieten: Bei schönem Wetter hat man hier eine wunderbare Weitsicht – bis aufs Stockhorn zum Beispiel, auf das Rösti mit seiner Familie noch kurz vor Weihnachten hochgewandert ist. «Ein einmaliger Genuss! Das relativiert die eigene Person und lehrt einen, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.»
Was unterscheidet denn die politische Arbeit in Uetendorf von derjenigen in Bern? «Regionalpolitik ist keinesfalls einfacher als nationale Politik», schmunzelt Rösti. «Man erhält direktes Feedback aus der Bevölkerung.» Auf dieser Stufe ist unsere direkte Demokratie tatsächlich sehr direkt: Die «Stimmbevölkerung» ist hier kein Pressekonstrukt, sondern die Menschen, die man tagtäglich auf der Strasse trifft, die in manchmal hitzigen Gemeindeversammlungen mitreden und die schliesslich mit den getroffenen Entscheidungen leben müssen. Damit das alles funktionieren kann und der Frieden gewahrt bleibt, braucht es, so Rösti, eine gehörige Portion Dialogbereitschaft. Er erläutert: «Meine Philosophie ist einfach: Es geht darum, Betroffene zu Beteiligten zu machen; und es geht darum, die Verwaltung als Dienstleistungsbetrieb zu sehen. Politik ist Dienstleistung», gibt er sich überzeugt. In Uetendorf macht er das mit Erfolg: Der Ort ist beliebt bei Unternehmen, auch bei international tätigen Unternehmen wie der Garaventa. So ist Uetendorf in der glücklichen Lage, über ungefähr so viele Arbeitsplätze wie Arbeitskräfte, die dort wohnen, zu verfügen. Auch die Armee trägt das ihre dazu bei – die regelmässigen WKs in Uetendorf sowie der nahe gelegene Waffenplatz Thun (der grösste der Schweiz) sind eine wichtige Quelle von Besuchern, Kunden und Gästen der lokalen Betriebe. Natürlich ist Uetendorf keine einsame Insel der Glückseligen – es steht viel Arbeit hinter dem Versuch, eine Balance zwischen den Bedürfnissen als Wohn- und Wirtschaftsstandort zu finden. Auch die finanziellen Probleme, die viele Orte im Kanton beschäftigten, sind an Uetendorf nicht spurlos vorbei gegangen. Das muss aber nicht auf die Stimmung schlagen: Mit über 60 Vereinen hat Uetendorf ein sehr reichhaltiges, aktives Dorfleben, in dem jeder auf seine Kosten kommen kann. Unter anderem auch einen Musikverein. Rösti kennt das Vereinsleben, er war viele Jahre in der Musikgesellschaft Kandersteg, wo er früher als Schlagzeuger die Felle verdroschen hat.
Heute kommt er kaum mehr dazu – deshalb bleibt bis zuletzt die Frage im Raum, warum sich jemand das ganze überhaupt antut – den Zeitaufwand, den Stress, die ständige Beobachtung durch die Medien? «Politik ist eine Sache von Herzblut – man denke nur an die vielen, vielen unbezahlten Stunden», lacht Rösti. So ist er über die Jahre seinen Prinzipien und Überzeugungen treu geblieben, getrieben von der Vision einer unabhängigen Schweiz mit einer starken Armee, strengen Migrationsgesetzen und einer liberalen Wirtschaftsordnung, die den Wohlstand aller sicherstellen soll. Einer Schweiz eben, die eine Brücke schlägt zwischen Tradition und Moderne.
«Regionalpolitik ist keinesfalls einfacher als nationale Politik.»