Giuseppe di Stefano: Wo wohnte Ursula Andress?

Giuseppe di Stefano: Wo wohnte Ursula Andress?

Giuseppe di Stefano: Wo wohnte Ursula Andress?

Als ich Giuseppe di Stefano – ursprünglich aus Italien stammend – im Alters- und Pflegeheim Martinzentrum Thun treffe, läuft noch die Fussball-WM, und das im Dezember. Di Stefano? Da gab es doch einmal einen weltbekannten Fussballer gleichen Namens, aber Spanier. «Falsch», antwortet Giuseppe, «er war Argentinier. Und schrieb sich ‹Stéfano›.» Wo er recht hat, hat er recht, und verwandt sind die beiden auch nicht.

Text: Thomas Bornhauser | Fotos: zvg

 

Trotzdem unterhalten wir uns zu Beginn noch über Fussball – aber nur kurz, vermutlich weil die Azzurri im Gegensatz zu den Deutschen nicht nach der Vorrunde ausgeschieden sind, sondern gar nicht erst an die WM reisen konnten, nicht zuletzt wegen der Schweizer, die ihnen den Platz an der Sonne von Katar wegschnappten.

Sprachbegabter Mann

Was im Zimmer von Giuseppe di Stefano auffällt, sind die vielen Bilder an den Wänden, die er selbst gemalt hat. Doch davon später. Geboren wird Giuseppe di Stefano 1937 in Genua, wo er mit einem Bruder und zwei Schwestern aufwächst. Was denn sein Vater gewesen sei, will ich von ihm wissen, weil Genua die Stadt der Seefahrer ist. Ich solle raten, meint er. Als Antwort kommt ein lautes «Fondo!» gestikulierend daher, gefolgt von anderen für die Seefahrt typischen Ausdrücken. Klar, sein Vater war Matrose. Ihm sollte Giuseppe auf die sieben Weltmeere folgen.

Im Laufe seines Lebens lernt er – und spricht heute noch – Französisch, Englisch, Deutsch, Latein und Altgriechisch, «wobei ich die beiden letzten nicht mehr beherrsche, sie sind ja sozusagen ausgestorben». Fremde Sprachen hätten ihn schon immer gereizt, weshalb er sie in seinem Leben gezielt angegangen sei. Eine eigentliche Ausbildung konnte er nicht machen, stattdessen arbeitete er als junger Mann während zweier Jahre als Putzmann sowie in Restaurants und Bars. Sein Vater empfiehlt ihm dann, auch aufs Meer zu gehen, auf ein Kreuzfahrtschiff. Er befolgt den Rat.

Bilderbuchkarriere

Bis zu seiner Pensionierung arbeitet er für viele Reedereien, unter anderem für Costa, Corsica Linea, Lloyd Triestino oder Chandris. Es sind Zeiten, da diese vergleichsweise kleinen Schiffe nicht für die Masse gebaut werden. Klein, aber oho. Entsprechend auch die Klientel, oh, là, là … Giuseppe di Stefano beginnt als Putzmann, arbeitet sich dann aber im Laufe der Jahre in den Service hoch, zuerst als Kellner, dann als Chef de Service, schliesslich als Maître d’hôtel. In jener Funktion kann er bei besonderen Anlässen einen Smoking tragen, was natürlich vielen Frauen gefällt, zumal ein durchaus attraktiver Mann, quasi ein Gigi vo Arosa auf den Weltmeeren, frei nach dem Chanson Gigi l’Amoroso von Dalida.

Die Kreuzfahrten führen ihn rund um den Globus, so wie man sich das bei solchen Reisen vorstellt: Karibik, Südamerika, Naher und Ferner Osten, USA, Kanada. Nie habe es in dieser Zeit einen schweren Unfall gegeben. Doch: An ein Sturmtief erinnert er sich genau, es war auf der Raffaello, einem Transatlantik-Passagierdampfer der Italia – Società di Navigazione. Giuseppe di Stefano: «Ich wollte gar nicht dort arbeiten, weil es hiess, das Schiff sei zu unsicher gebaut.» Die Raffaello sinkt denn 1983 auch tatsächlich, allerdings nicht auf dem offenen Meer mit Passagieren, sondern nach einem irakischen Luftangriff im Hafen von Buschehr im Iran.

Obwohl kein Profi, gibt er den Ladys an Bord der verschiedenen Schiffe Kurse im … Tango, was ihm durchaus einen Zustupf zum Gehalt beschert. Überhaupt, wie war das mit den Frauen, damals? «Ich habe im Laufe meines Lebens viermal geheiratet», sagt er, durchaus mit Schalk in den Augen. Und weshalb viermal? «Weil ich immer eine Bessere gefunden habe!», lacht er, um sich gleich unmissverständlich zu korrigieren: «Wissen Sie, es lag hauptsächlich an mir, dass meine Ehen auseinandergingen.»

Und irgendwie kann man nachvollziehen, weshalb Giuseppe di Stefano derart «Schriis» bei den Frauen hatte. Noch heute, Jahrzehnte später, kann man diese spezielle Art von Italianità an ihm beobachten, ein Gentleman, auch wenn er heute im Rollstuhl sitzt und – Ironie des Schicksals – auf die Pflege von … Frauen angewiesen ist. Und für diese Unterstützung ist er dankbar, erwähnt es auch mehrere Male während unseres Gesprächs.


An genuesischen Malern orientiert

Er kommt dann – er kann sich nicht genau erinnern, wann das war – einer Frau zuliebe in die Schweiz, heiratet Heidi aus Frutigen. Sie ist Krankenschwester in der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich, er arbeitet in dieser Zeit bei Mövenpick im Service. Die vierte Ehe führt ihn in die Region Bern. Wohin genau, will ich wissen. Giuseppe di Stefano überlegt lange, nicht zum ersten Mal. «Wo hat Ursula Andress gewohnt?», will er schliesslich wissen. «In Ostermundigen.» – «Ja, in Ostermundigen, da haben wir gewohnt.» Irgendwie typisch, dass auch bei dieser Frage eine Frau den Steigbügel hält … Später kommen Giuseppe und seine Frau nach Thun, ins Schwäbis, wo er in einer Holzfabrik arbeitet, «die es heute nicht mehr gibt». Seit Mai 2022 wohnt er im Martinzentrum, ist mit sich und der Welt zufrieden.

Stimmt. Von der Malerei war zu Beginn die Schreibe, denn die Genueser Schule war eine Schule der Malerei vom späten 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert. Viele bekannte Maler entstammen ihr: Antonio Semino, il Bergamasco oder Aurelio Lomi. Wann hat der Genueser di Stefano mit der Malerei begonnen? Schon in frühen Jahren, «ich habe eine Zeit lang auch einen Kunstkurs besucht, aber der Maestro wollte immer, dass wir genau nach seiner Vorgabe malen. Das hat mir nicht gepasst, also habe ich es mir selbst beigebracht.» Und seine Werke lassen sich wirklich sehen.

 

In memoriam

Die Begegnung mit Herrn di Stefano fand erst kürzlich statt. Es erreichte uns kurz vor dem Druck dieser Ausgabe die traurige Mitteilung, dass er vor wenigen Tagen überraschend ver- storben ist. Wir haben seinen Verwandten zu danken, dass wir diesen Nachruf als persönliche Erinnerung publizieren dürfen. Wir entbieten ihnen unsere aufrichtige Anteilnahme.

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