Leben im Alter: Vom Dienen, nicht vom Verdienen
Leben im Alter: Vom Dienen, nicht vom Verdienen
Sich mit einem ehemaligen Gemeindepräsidenten und ehemaligen Grossrat zu unterhalten, verspricht einiges an Interessantem, an Geschichtlichem. Das ist auch im Fall von Arnold Lüthi nicht anders. Der Uetendorfer lebt seit Januar 2015 mit seiner Frau Hanni im Domicil Selve Park Thun. Wir haben ihn besucht.
Text: Thomas Bornhauser | Fotos: Thomas Bornhauser, zvg
Wo ist denn Ihre Frau?», will ich vom 76-Jährigen wissen, als ich die 3-Zimmer-Wohnung mit grosser Terrasse und fantastischem Blick über die Region betrete. «Sie hilft ihrer Schwester viermal in der Woche im Haushalt», erklärt Arnold Lüthi. Und das heisst: Hanni Lüthi, selber 77, macht sich am frühen Morgen auf den Weg nach Schwarzenegg, wo ihre mittlerweile 89-jährige Schwester lebt. Gegen Mittag kehrt sie jeweils nach Thun zurück. Diese für heutige Verhältnisse aussergewöhnliche Beziehung zwischen Geschwistern ist aber bezeichnend für das Leben des Ehepaars Lüthi. Dienen und helfen, im Dienste anderer.
Ausbildung bei «Bschütti Chüpfers»
«Wissen Sie, meine Frau hat sich immer im Hintergrund gehalten, mir den Rücken frei gehalten, sie war und ist mir eine grosse Stütze», sagt Arnold Lüthi. Also passt es irgendwie dazu, dass wir uns nur zu zweit unterhalten.
Liebe Lesende: Versuchen Sie einmal, das Leben des Politikers auf einigen wenigen Seiten zusammenzufassen. Geht nicht. Sie werden es nicht schaffen, auch deshalb nicht, weil Arnold Lüthi anders als andere ist. Sehr viel anders.
Aufgewachsen ist er zusammen mit drei Brüdern – Hans, Karl und Franz – in Fahrni, genauer gesagt auf dem Embergboden, wo sein Vater «buuret». Die Primar- und Sekundarschule besucht er in Fahrni und Steffisburg. Seine Ausbildung zum Mechaniker absolviert er bei «Bschütti Chüpfers», was ein sofortiges Nachfragen des Schreibenden zur Folge hat. Es stellt sich heraus, dass die Maschinenfabrik Küpfer in Steffisburg nebst Seilbahnen für den Waren- und/oder Personentransport auch Güllepumpen herstellt, deshalb der Übername. Nach der Lehre und der Rekrutenschule zieht es ihn zur Swissair nach Kloten, wo er im Bereich der Technik eine Anstellung findet, zuerst für Kolbenmotoren zuständig, später auch für Düsentriebwerke.
Tragödie für Humlikon
Der Herzinfarkt
Von 1964 (in diesem Jahr heiraten Hanni und Arnold Lüthi) bis 1970 arbeitet Arnold Lüthi in der Maschinenfabrik Studer in Steffisburg, anfänglich als Vorarbeiter in der Werkzeugmacherei, zum Schluss als Assistent von Direktor Trümpy. 1970 sucht die ARA Region Thun einen Betriebsleiter und Geschäftsführer während ihrer Bauphase und Inbetriebnahme. Seine Frau motiviert Arnold, sich zu bewerben («Dabei hatte ich keine Ahnung von Gewässerschutz») – mit Erfolg, nicht zuletzt deshalb, weil er zuvor ein berufsbegleitendes Studium als Maschineningenieur HTL abgeschlossen hat.
1974 ist ein einschneidendes Jahr im Leben des ARA-Chefs: Er erleidet einen Herzinfarkt. Dieser Zwischenfall verändert nicht bloss seine bisherigen Lebensgewohnheiten, sondern auch seine Lebenseinstellung. Er wird sich bewusst, dass das Leben nicht unendlich ist, weshalb er sich jetzt schon vornimmt, sich mit 60 pensionieren zu lassen – und dies 26 Jahre später konsequenterweise auch umsetzt.
Fragt man ihn nach speziellen Erinnerungen zu seiner ARA-Zeit, so kommen viele zusammen, logischerweise. Zum einen lässt er sich an Abendkursen zum Gewerbeschullehrer ausbilden, gibt während insgesamt 18 Jahren Unterricht am Abend, zuerst zweimal in der Woche, später «nume no einisch». Und weshalb das? Hat ein ARA-Boss zu wenig zu tun? Arnold Lüthi verneint und erklärt die näheren Umstände: «Bei der ARA Region Thun standen weitsichtige Politiker an der Spitze. Eines ihrer Ziele war ein gut gebildeter Nachwuchs. Und da passte ich ganz gut in dieses Konzept», schmunzelt er.
Versuchen Sie einmal, das Leben des Politikers auf einigen wenigen Seiten zusammenzufassen. Geht nicht.
Alle Schaltjahre einmal
Zu jener Zeit herrschte Krieg in Europa, Hans leistete seinen Zivildienst im Wallis, war oft weg von zu Hause. Was bleibt Heidi Zingg von diesen Jahren in Erinnerung? «Die Angst, wenn wir Flugzeuge über der Schweiz fliegen hörten, nie konnte man sicher sein, ob nicht ein feindlicher Angriff bevorstand. Es war unheimlich.» Und natürlich war alles rationiert. «Diese Zeit hat meine Generation geprägt, wir wissen heute vieles zu schätzen, das eben nicht selbstverständlich ist, auch wenn man es glaubt.» Heidi Zingg selber hat in jener Zeit Zivildienst geleistet, war Chefin im Bereich «Obdachlose». «Ig weiss aber hüt no nid, was ig eigentlech für ne Ufgab gha hätti, wenn…» Apropos Zivildienst: Sie schätzt die, wie sie sie selber nennt, «Zivis» sehr, die jungen Männer, die heute ihren Dienst anstatt an der Waffe zum Wohl von alten Menschen in Heimen leisten. «Das sy alles ganz ufgschtellti Lüt, Gueti!». Auch mit bald 95 Jahren hat Heidi Zingg eine ausschliesslich positive Einstellung zum Leben. Respekt, von ihr könnten viele Zeitgenossen einiges lernen.
Lustig sind die Geburtsjahre in der Familie Zingg-Kauer, allesamt in Schaltjahren: Vater und Mutter wurden schon beide in einem solchen geboren, die Kinder Hansjörg, Veronika und Madeleine 1944, 1948 und 1952. Heidi Zingg zählt heute 9 Grosskinder und 6 Urgrosskinder. «Sie glauben gar nicht, wie viel Freude ich an diesen Urgrosskindern habe, obwohl ich sie natürlich nicht mehr hüte wie seinerzeit ihre Eltern», lacht sie.
Klärschlamm in die Bunker
«Ich habe das nie verstanden», sagt er heute nachdenklich, «und auf einmal ist mir eine verrückte Idee in den Sinn gekommen. Statt unsere alten Bunkeranlagen und Kavernen verrotten zu lassen, hätte man sie säubern und mit Trockenklärschlamm füllen können. Die Phosphorgranulate würden sich später optimal verwerten lassen.» Wirklich eine verrückte Idee? Die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts wird es zeigen.
Der Politiker
Sohn eines Bauern. Arbeitnehmer. Maschineningenieur HTL. Arbeitgeber. Es lag auf der Hand, dass Politiker an seine Türe klopfen würden. Als SVP-Vertreter wird er 1981 in den Gemeinderat von Uetendorf gewählt, später gelingt ihm die Wahl zum Gemeindepräsidenten. Dieses Amt führt er bis 1994 aus. «Es hat Spass gemacht, wirklich. Auf Gemeindeebene liess sich damals noch etwas bewegen. Nach fundierten Sitzungen und Besprechungen folgten Entscheide und deren Umsetzung.» Er betreut den Jugendtreff Allmend, ist Initiant zur Bildung der Natur- und Umweltschutzkommission NUK, die Mehrzweckhalle wird realisiert. Kurz: Arnold Lüthi ist ein umsichtiger, kompromissbereiter und deshalb erfolgreicher Gemeindepolitiker, empfiehlt sich daher eher ungewollt für höhere Aufgaben. 1994 wird er in den Berner Grossen Rat gewählt, er ist in dieser Zeit Mitglied des SVP-Fraktionsvorstandes, Präsident der SVP-Arbeitnehmer-Kommission, Präsident der Grossrats-Kommission «Neues Dankmalpflegegesetz», Initiant der Aare-Ausbaggerung in Thun. Und er ist – als Fachmann – Präsident der vorberatenden Kommission zum Gesetz in Bezug auf Gewässerschutz, Wasserversorgung und -nutzung sowie Abfall und Entsorgung.
Seine Erinnerungen an diese Zeit sind zwiespältig. Zum einen, weil vielfach endlos debattiert wird, ohne dass Entscheide getroffen werden, derweil seine Arbeit in der ARA sich nicht von selber erledigt. Zum andren, weil gewisse Jungpolitiker die Bühne des Grossen Rats zur Selbstdarstellung missbrauchen und sich während der Sitzungen absichtlich gelangweilt geben, sofern überhaupt anwesend. «Wenn ich sehe, in welchen Positionen und Startlöchern diese Leute heute stehen, kommen mir Zweifel auf, ob wir auf dem richtigen Weg sind, dieses Land zu steuern.»
Der Lüthi-Kreisel
Eine Aktion des «Gemeinnützigen Frauenvereins Thun» blieb Heidi Zingg besonders im Gedächtnis haften, der «Samstagsbatzen». Was ist darunter zu verstehen? «Als ich einmal an einem Samstag in der Migros stand, kam mir der Gedanke, dass man bei jeder Kasse ein kleines, spezielles Kässeli aufstellen könnte, für freiwillige Spenden für Altersheime.» Gedacht, getan. Innert weniger Wochen bringt sie es fertig, dass die Firma «Hoffmann» Hunderte gelber Spendenkässeli gratis (!) herstellt, der Gemeinderat und der «Handels- und Industrieverein» ihr Einverständnis geben – und schon bald darauf stehen in den Thuner Geschäften an Samstagen überall die kleinen gelben «Kässeli», die spätestens am Montag geleert werden. Der langen Rede kurzer Sinn: Nach zwei Jahren haben die «Gemeinnützigen Frauen» 150000 Franken gesammelt, die sie gezielt für Anliegen und Anschaffungen in den Altersheimen in Thun einsetzen. Übrigens nicht ganz zur Freude aller: Betreiber von Blumengeschäften beklagten sich, weil viele Leute nach einem Todesfall nicht mehr Blumen aufs Grab legen, sondern der Aktion «Samstagbatzen» spenden…
Reisen in die Ferne
«Da kommt mir noch etwas Lustiges in den Sinn!», meint er plötzlich spontan. Beim Ausbau der ARA – heute Region Thunersee – und zur Verkehrsentflechtung in Uetendorf wird ein Kreisel gebaut. «Erst viel später habe ich gehört, dass man vom Lüthi-Kreisel sprach…»
Hört man ihm zu, kommt man nicht umhin, ihn im Unruhestand zu vermuten, auch wenn er sein Engagement in letzter Zeit bedeutend heruntergefahren hat, nicht zuletzt deshalb, weil er gewisse Verpflichtungen nicht «aussitzen» mag. Alles zu seiner Zeit. Zum Beispiel als Präsident des Gemeindeverbands Altersheim Turmhuus, im Stiftungsrat Uetendorfberg, als Kirchgemeindepräsident (mit der Strukturierung und Neuorganisation der Kirchgemeinde Thierachern/Uetendorf/Uebeschi betraut), als Verwaltungsratspräsident der Raiffeisenkasse Thun.
«Learning by doing» erlebt er 2001, als ihn die SVP Uetendorf als «Ehemaligen» in die Wahl zum Uetendorfer Gemeindepräsidenten schickt. Mit allerdings nur 40 Stimmen Unterschied unterliegt er einem anderen Kandidaten. Die Weisheit, die er daraus zieht: «Mit der Vergangenheit kann man die Zukunft nicht meistern.»
Im Dienst von «Oesch‘s die Dritten»
Man könnte Arnold Lüthi stundenlang zuhören, diese Ausgabe von ThunerseeLiebi mit seinen Geschichten problemlos füllen. Fast zum Schluss zwei Besonderheiten, die nicht so ganz alltäglich sind, aber bei ihm nicht wirklich zu überraschen vermögen. Mit Kollegen besucht er regelmässig die Eishockey-Weltmeisterschaften. Und: Für «Oesch’s die Dritten» hilft Arnold Lüthi – als Mitglied des Vorstands des Fanclubs – bei der Organisation für Reisen zu Konzertauftritten.
Weshalb aber der vergleichsweise frühe Wechsel in den Domicil Selve Park, obwohl seine Frau und er erst Mitte 70 sind? «Das hat sich einfach so ergeben. Wir haben uns diesen Schritt lange und gut überlegt, auch verschiedene Wohnformen für ältere Leute in Thun und Umgebung angeschaut, das Preis- Leistungs-Verhältnis verglichen. Schauen Sie sich doch um, in unserer Wohnung, auf der grossen Terrasse. Ist es nicht wunderschön? Der ÖV liegt in der Nähe, das Aarebad, das Mittagessen ist im Preis inbegriffen. Viele Leute können das alles nicht mehr richtig geniessen, weil sie den Umzug erst spät angehen. Meine Frau und ich wollten diesen Schritt bewusst früher machen.» Recht hat er.