Yvonne Spycher arbeitet in ihrem Atelier im Wichterheergut Oberhofen, dem einzigen Atelier ohne Seesicht, aber ebenso inspirierend. Wie sieht sie, die sie vor allem Bilder aus der Natur und Tierwelt malt, ihre Zielgruppe? «Falsche Frage», lacht sie. Wie dann anders? «Für wen ich nicht male? Nämlich für Leute, die mir einen Auftrag erteilen wollen, aber mir konkret vorschreiben, wie das Bild zu ihrer Polstergruppe passen sollte.» Wo sie Recht hat, hat sie Recht.
Text: Thomas Bornhauser | Bilder: Thomas Bornhauser, zvg
Als Erstes stellen wir die Gretchenfrage: «Kann man die Kunst des Malens lernen? Wir bekommen das zu hören, was uns ebenfalls viele Fotografen und Schriftsteller sagen. Die Hardware einer Kunst, die Technik, kann man erlernen, nicht aber die Software, die Begabung an sich. Diese wird einem in die Wiege gelegt. Das Auge, das Gespür für ein Foto, für einen Roman, für ein Gemälde. Heisst für Yvonne Spycher: «Ich denke, dass ich das Auge für Farbkombinationen und die Details habe, die ein Bild harmonisch erscheinen lassen.»
Die Kindheit als Fundament
Ihr Atelier entspricht der Vorstellung einer Malerin: Ordnung herrscht zwar, ein Museum sähe aber anders aus. Das ist auch nicht nötig, im Zimmer sind die Kreativität und die Reaktivität spürbar. Und erlebbar. Wann hat Yvonne ihr angeborenes Flair fürs Zeichnen entdeckt, fürs Malen? Bereits als Kind, sagt sie, und: «Meine Mutter hat viele Stunden beim Zeichnen mit mir verbracht. Nach der Schulzeit kann sie sich ihren Wunsch, die Kunstgewerbeschule in Bern zu besuchen, nicht erfüllen. «Schon die Aufnahmeprüfungen seien anspruchsvoll, hiess es, geschweige denn die Ausbildung an sich. Rückblickend lässt sich sicher sagen, dass ich damals zu wenig Selbstvertrauen hatte.» Weshalb sie sich für die KV Ausbildung entschieden hat.
Was war – Jahre später – der Ausschlag, nach einem eigenen Atelier zu suchen? «Als unsere Söhne klein waren, hatte ich (zu) wenig Zeit für die Malerei, je grösser sie heranwuchsen, desto mehr haben sie meinen ursprünglichen Arbeitsplatz in der Wohnung für ihre eigenen Bedürfnisse in Anspruch genommen. Damit aber noch nicht genug: Während der Pandemie war für die Söhne Homeschooling angesagt, für ihren Mann Homeoffice. Bärndütsch gseit: Alles uf eim Huufe. Nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Durch eine Aneinanderreihung von glücklichen Zuständen konnte sie ihr heutiges Atelier im Wichterheergut Oberhofen beziehen.
Der Kunstsupermarkt als Sprungbrett
Seit August 2022 besucht sie die Kunst Ausbildung «Portfolio» an der Schule für Gestaltung Bern/Biel. Ihre künstlerischen Fähigkeiten hat Yvonne Spycher aber laufend verfeinert und diverse Kurse und Lehrgänge bei anderen Kunstschaffenden absolviert, so auch bei Karin Frank in Hilterfingen.
2023 dann eine echte Überraschung. Yvonne Spycher bewirbt sich beim Kunstsupermarkt in Solothurn. Als Information: Hier können ausgewählte Künstlerinnen und Künstler Werke ausstellen und zum Verkauf anbieten. Diese werden in vier Preiskategorien eingeteilt, alle im dreistelligen Bereich angesiedelt. Von eingefleischten Auktionsgänger:innen noch immer leicht belächelt, kommen hier Interessierte nach Solothurn, die vermutlich weniger an Versteigerungen zum Teil in Millionenhöhe beiwohnen. Mit anderen Worten: Hier finden Menschen Zugang zur Kunst, wie er ihnen sonst vielleicht verschlossen bliebe.
Item: Die Jury bittet Yvonne Spycher, vier Bilder zur Ansicht als Bewerbung einzusenden. Das tut sie. Mit grossem Erfolg: Sie kann 40 (vierzig!) Gemälde ausstellen – 22 werden auch verkauft. «Freude herrscht!», würde jetzt ein Altbundesrat aus dem Berner Oberland jubeln.
«Für mich war jeder Verkauf ein tolles Erfolgserlebnis», sagt Yvonne Spycher heute, «unbekannte Leute, die ein Werk von mir kaufen, weil es gefällt, nicht aus Nächstenliebe!» Hier spricht die Künstlerin einen wichtigen Umstand an: Es gibt Leute, die einem Künstler etwas ankaufen, «wöll en arme Cheib.» Das ist falsch. Entweder kauft man ein Werk, weil es gefällt oder dann spendet man etwas für einen sozialen Zweck. Den Mann aber im Glauben zurücklassen, dass seine Kunst unter diesem Aspekt gekauft wurde, ist unfair. Es hilft ihm auch nicht weiter.
Besonders berührt hat Yvonne Spycher ein Eintrag einer ihr unbekannten Walliserin im Gästebuch der Ausstellung: «Yvonne Spycher, quelle découverte magnifique!» «Sie hat drei meiner Werke gekauft.»
Als ob es ein Foto wäre
Zurück ins Atelier im Wichterheergut. Auffallend: Die Blumenbilder sind grossformatig, die Tierbilder hingegen eher klein bis ganz klein. Weshalb das? Des Rätsels Lösung: Bei den Blumengemälden fühlt sich die Thunerin «sicher», bei den Tiermalereien – für den Moment Hunde und Eulen – tastet sie sich langsam (aber sicher) heran, sucht auch hier ihren eigenen, unverwechselbaren Stil.
In einer Ecke entdecken wir das Portrait einer Frau, schwarz weiss ab einem Foto gemalt. Die Malerei erinnert umgehend an den Berner Fotografen Beat Mumenthaler mit seinen einzigartigen Portraitaufnahmen. Zufall. Yvonne Spycher kennt ihn nicht. Und dennoch.
Yvonne Spycher ist mit ihrer Kunst nicht auf dem Selbstverwirklichungstrip, sondern auf dem Weg zu einer Kunst, die in ihrer Einzigartigkeit in Zukunft noch viele Leute begeistern wird.
Kontakt
Yvonne Spycher
Atelier & Showroom
Wichterheergut
3653 Oberhofen
Telefon: 079 477 64 17
EMail: spyvi@bluewin.ch
Yvonne Spycher (*1974)
Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Yvonne Spycher in Ostermundigen. Nachdem sie die KV Lehre bei einem Baugeschäft abgeschlossen hatte, ist sie mit ihren Eltern nach Oberhofen am Thunersee gezogen. Mehr als 15 Jahre hat sie auf ihrem Beruf gearbeitet. In dieser Zeit hat sie ihren Mann Roland kennengelernt, hat geheiratet und ihr erster Sohn Robin kam zur Welt. Mit der Geburt ihres zweiten Sohnes Nevio folgte auch eine berufliche Veränderung, da Yvonne Spycher mehr Zeit für die Familie aufbringen wollte. So hat sie anfänglich Teilzeit als Modeberaterin bei Benetton gearbeitet und später neun Jahre in der Tagesschule in Oberhofen. Dort hat sie neben der Kinderbetreuung auch gekocht und die Mittagsmenus geplant, zuerst für 20, am Ende für 120 Kinder.
Die Malerei hat sie stets begleitet und war immer eine Leidenschaft. Ihre künstlerischen Fähigkeiten hat Yvonne Spycher laufend verfeinert und diverse Kurse und Lehrgänge bei verschiedenen Kunstschaffenden absolviert. Während der Pandemie kam der Gedanke auf, dass sie sich ein Atelier mieten könnte. Kurz darauf fand sie im Wichterheergut in Oberhofen die passende Lokalität. Yvonne Spycher verbrachte viel Zeit in ihrem Atelier und spürte bald, dass sie sich ganz der Malerei widmen möchte. Die Künstlerin liebt das Experimentieren mit verschiedenen Techniken und Materialien, um etwas Unerwartetes entstehen zu lassen, genauso wie das konkrete Umsetzen einer Idee. Seit August 2022 besucht sie die Kunst Ausbildung «Portfolio» an der Schule für Gestaltung Bern/Biel.