«Bergwärts» –  eine Kunstausstellung auf dem Niesen

«Bergwärts» – eine Kunstausstellung auf dem Niesen

«Bergwärts» – eine Kunstausstellung auf dem Niesen

Kunstwerke gehen wortwörtlich bergwärts: vom Kunstmuseum Thun direkt auf den Niesen. Die Mitarbeiter der Niesenbahn AG haben dafür keine Mühe gescheut. Mit diesem Projekt wurden wiederum andere Künstler inspiriert und auch eine bekannte Krimiautorin meldet sich zu Wort.

Text & Fotos: Urs Bretscher

Mir ist völlig klar, dass dies hier ein Anschlag auf mein Leben ist», knurrte ich, während ich misstrauisch zum Niesen aufsah, der majestätisch im warmen Frühsommerschein badete. «Glaub ja nicht, dass du damit durchkommst.»

Kerstin Lindner verdrehte ihre kornblumenblauen Augen genervt himmelwärts. «Ach komm schon! Eine kurze Wanderung, und das bei den besten Wetterbedingungen! Das kann doch wirklich nicht so schlimm sein. Reiss dich gefälligst zusammen!»

Die Aufforderung gilt der Psychiaterin Kassandra Berger, einer Protagonistin der Thuner Autorin Esther Pauchard, die bereits einigen Leserinnen und Leser aus der Thunersee-Region bekannt ist. Obwohl die Figur Berger in den aktuellen Krimis von Pauchard nicht mehr vorkommt, hat die Autorin sie für einen speziellen Kurzkrimi rund um den Niesen wieder auferstehen lassen.

Grund dafür ist ein aussergewöhnliches Ausstellungsprojekt, welches ab Oktober auf dem Niesen zu sehen ist. Denn für einmal verlassen Kunstwerke eines Museums die sichere Heimat und begeben sich auf Reisen, an einen Ort, der nicht für Kunst gemacht ist. Das Projekt wurde im Rahmen der Ausstellung «Bergwärts» im Thun-Panorama initiiert, welche mit historischen Persönlichkeiten die Anfänge der Bergbegeisterung im Berner Oberland aufzeigt, wie den Forscher Albrecht von Haller oder die Reisende Jemima Morrell. Denn vor über 200 Jahren waren Ausflüge in die Berge äusserst ungewöhnlich. Im Thun-Panorama ist auch das Rundbild von Marquard Wocher zu sehen. In seiner Ansicht von Thun wendete der Maler vor 200 Jahren seinen genauen Blick der unentdeckten Bergwelt zu. So findet natürlich ebenso der Niesen einen prominenten Platz im Panoramabild. Um einen Bezug zur Gegenwart zu bekommen, entstehen zu «Bergwärts» gleich zwei weitere Vermittlungsprojekte im Oberland, die tatsächlich bergwärts gehen. Im Frühjahr 2018 fand das erste in Aeschi statt: Hier haben Asylsuchende aus dem ehemaligen Asylzentrum Aeschiried und Freiwillige des Café International ihre Beziehung zum Thema Lebensraum Berg in einer Ausstellung verarbeitet. Zahlreiche Berg- und Landschaftsdarstellungen wurden zu Sinnbildern für die ungewisse Zukunft, ob wegen befürchteter Krankheit oder fehlender Orientierung. Auf einer weiteren Wand ging es darum, was das Ausstellungsteam der Ungewissheit der Zukunft entgegenhalten kann: die Erinnerung ans Velofahren, Musik, der Wunsch zu lernen oder zu arbeiten, alles in vielseitigen Bildern ausgedrückt.

Vom Wagenführer, der Serviceangestellten und der Geschäftsführung bis zur Kunstausstellung 

Das zweite Projekt findet nun im Herbst auf dem Niesen statt. Dabei haben sich Mitarbeitende der Niesenbahn mit der Sammlung des Kunstmuseums auseinandergesetzt und Kunstwerke für eine Präsentation im Restaurant Niesen Kulm gewählt. Die Ausstellungsmacherinnen und -macher haben sich für das Zeigen von Bildpaaren rund um ihren Berg entschieden wie etwa die Spannung zwischen Fernsicht und Nähe. Zu Gottfried Trittens «Alles ist Gleichnis» (1987), der die Dreieckform des Niesens aufnimmt, kommen den beiden Niesenbahn-Mitarbeiterinnen Sandra Eng (Autorin Niesen-Kinderbuch «Der magische Mühlstein») und Erika Schneiter (Stellvertretende Leiterin Berghaus) die Urkraft der Natur in den Sinn: «Die Geometrie ist in der Natur allgegenwärtig. Kraftvoll, unverfälscht, stark und klar.» Auf der Gegenseite daher der Ausdruck von fürsorgende Liebe, welche das Gemälde der verstorbenen Thuner Künstlerin Helene Pflugshaupt aufzeigt: «Sich beschützt und geborgen fühlen, angstfrei leben können – ein Grundrecht eines jeden Menschen.»

Der Geschäftsführer der Niesenbahn Urs Wohler denkt beim Anblick eines Bildes von Fritz Buchser, auf dem ein junger Mann einen schweren Stein stemmt, an sein Team: «Da kommen mir meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sinn: Viel Arbeit, mal grössere und mal kleinere Steine, immer im Dienste der Gäste, eine Aufgabe nach der Anderen. Und manchmal ist man/frau alleine zu wenig stark.»

Für die Entwicklung einer eigenen Ausstellung war es jedenfalls wichtig, sich gegenseitig Ideen zuzuwerfen, sie aufzufangen, zu verwandeln, sodass am Ende nicht mehr klar war, welcher Einfall von wem war. Doch alle standen dazu. Etwas Gemeinsames ist entstanden – nicht ohne schwierige Phasen, in denen noch gar nicht klar war, was für das Publikum interessant sein könnte. Cristina Dähler, Leiterin Marketing und Verkauf der Niesenbahn, fasst die Stimmung zum Projekt zusammen: «Ich habe bisher nur positive Rückmeldungen von den beteiligten Mitarbeitern erhalten. Es war sehr spannend mit Mitarbeitenden aus den verschiedenen Bereichen wie Bahnbetrieb, Gastronomie, Verkauf und Administration zusammen an einem Kunstprojekt zu arbeiten. Es hat uns als Team zusammengeschweisst und wir konnten einander auf einer völlig anderen Ebene noch besser kennenlernen und gemeinsam einen Einblick in das uns doch eher fremde Thema ‹Kunst› erhalten. Es hat allen grossen Spass gemacht und wir sind stolz auf das Ergebnis.»

Aus Kunstwerken zum Krimi

Esther Pauchard findet in eben diesen von den Mitarbeitern ausgewählten Werken Inspiration für Mord und Totschlag. Ist vielleicht der junge Mann mit dem Stein der Mörder? Wird der Felsen zum Mordwerkzeug?

Unzählige Wanderer kennen die friedlichen Blumenwiesen rund um den Niesen, präparierte Wege und gutes Wetter. Doch Kassandra Berger und Kerstin Lindner philosophieren auf ihrer Wanderung Düsteres – passend zur mit Heidelbeersaft präparierten Fotografie von George Steinmann: «…Hier regiert die Natur, der Berg – und der Berg hat etwas Unverrückbares, Grausames an sich. Hier überleben nur die Starken.» Kerstin prustete. «Ist das nicht gar dramatisch? Nur weil du ausser Puste bist?» Ich liess mich nicht beirren. «Hier oben ist die menschliche Zivilisation nur ein dünner Firnis auf der Urgewalt der Natur, der Elemente. Wir sind ganz auf uns gestellt. Dies ist ein archaischer Ort und seine Kraft hat einen starken Einfluss auf uns, verändert uns. Hier kann vieles passieren.»

Und es wird etwas passieren! Ihren Spezial-Krimi rund um den Niesen liest die Thuner Autorin exklusiv am Abend der Eröffnung am 11. Oktober 2018 im Bergrestaurant. Ein regionales- und saisonales 3-Gang-Menü begleitet die Lesung. Eine Publikation ist in Vorbereitung.

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