Was als Hobby begann, ist heute ein kleines Familienimperium der Wollverarbeitung, die nächste Generation steht bereits in den Startlöchern. Die Entstehungsgeschichte von «Natura-Handwerk».
Text: Alina Dubach | Bilder: Alina Dubach, zvg

Wer von Uebeschi die Strasse «Lischen» hinauffährt, sieht ein Bauernhaus, auf den ersten Blick eines von vielen. Auf der schmalen Einfahrtsstrasse zwischen den Hofgebäuden wird klar: Hier lebt ein Traditionshandwerk auf.
Riesige Säcke mit Wolle stehen in einem Unterstand, vor einem Schopf dampft eine Art grosser Kochtopf, in dem die Naturfasern gereinigt werden. Die Wolle ist für Spychers Familiensache. Deshalb gibt Evi Spycher das Interview nicht allein. Neben ihr am Tisch sitzen Ehemann Werner und Sohn Kurt. Letzterer verbringt immer mehr Zeit auf dem elterlichen Hof, er will einmal die Wollverarbeitung übernehmen. Noch ist das Zukunftsmusik.

Wie alles begann
Evi Spycher-Schnyder arbeitet gerne mit den Händen – auf die verschiedensten Arten. Das zeigte sich schon früh: Mit 14 Jahren zog sie mit ihrer Familie aufs Land. Es dauerte nicht lange und sie arbeitete auf einem benachbarten Hof. Sie pflanzte selbst Flachs an und verarbeitete diesen mit geliehenen Instrumenten. Später begann Evi mit Anleitungen aus einem Buch, die Schafwolle, die sie einem Nachbarn abgekauft hatte, von Hand zu karden und zu färben.
An einem Kurs lernte sie von einem älteren Ehepaar das Spinnen und war sofort fasziniert. Aus dem selbsthergestellten Garn strickte sie einen Pullover. «Den gibt es leider nicht mehr», schmunzelt die Woll-Spezialistin, während draussen drei Alpakas auf der Weide stehen. Weiter hinten gackern die Hühner und noch etwas weiter hört man das charakteristische Gurren von etwa 200 Truthähnen. Von eigenen Alpakas, Lamas und Schafen hätte Evi damals nicht mal geträumt, als sie den Plan für den Pulli fasste.


Wenn der Tag zu wenig Stunden hat
Evi hat den Bauer Werner Spycher kennengelernt, ist nach Uebeschi gezogen, die beiden haben geheiratet und gemeinsam fünf Kinder bekommen. Zugleich haben sie den Landwirtschaftsbetrieb geführt. «In dieser Zeit hatte ich keinen Kopf für die Handarbeit», erinnert sich Evi. Erst als die Kinder etwas älter waren, fand sie wieder Musse für eigene Projekte. Zwei alte Webstühle zogen ins grosse Elternschlafzimmer ein. Hier entstanden selbst gemachte Teppiche – rückblickend ein Meilenstein in der Entwicklung zu Natura-Handwerk. Welche Ausmasse die Wollverarbeitung noch annehmen würde, hätten sich Spychers damals nicht träumen lassen.

Irgendwann wurde das Schlafzimmer zu klein für die kreativen Einfälle des Ehepaars. Der alte Schweinestall wurde umgebaut und zu Evis Atelier umfunktioniert. Nach und nach ergänzten Maschinen und weitere Räume die Wollverarbeitung. Heute ist das Angebot umfangreich wie nie zuvor.
Vielseitige Wolle
Die angelieferte Wolle von Schafen, Alpakas und Lamas waschen Spychers selbst, sie wird getrocknet, um anschliessend in verschiedene Richtungen weiterverarbeitet zu werden. Da wäre etwa die grosse Kardiermaschine, die dafür sorgt, dass alle Fasern der Wolle in die gleiche Richtung zeigen. So entsteht ein grosses, gleichmässiges Vlies. Dieses wiederum wird in Duvets vernäht oder mit der Filzmaschine zu einer Matratzenauflage verarbeitet.
Für Teppiche wird aus der Wolle eine Art dicke Schnur gedreht, die anschliessend in den Webstühlen von Hand verwebt wird. Weitere Produkte sind Schuheinlagen, Finken und Kopfkissen. «Eigentlich setzen wir keine Grenzen. Wenn etwas sinnvoll umsetzbar ist, machen wir es», erklärt Werner Spycher.

Die Sache mit der Wolle
Es gibt nicht mehr viele Betriebe wie Natura-Handwerk in der Schweiz. Das Geschäft mit der Wolle ist kein lukrativer Wirtschaftszweig. Das weiss auch Werner Spycher: «Es gibt nur noch etwa vier Betriebe in der Schweiz, die so wie wir die ganze Verarbeitung machen.»
Die grosse Konkurrenz in Sachen Wolle kommt laut Spycher aus Neuseeland. Dort werden vor allem Merino-Schafe gehalten, die eine besonders feine Wolle haben. Da können die in der Schweiz typischen Fleischschafe nicht mithalten. Spychers setzen hauptsächlich auf inländische Wolle und verwenden deshalb für edlere Produkte zusätzlich einheimische Alpakawolle.

Die Mischung machts
«Würde man ein Duvet nur mit Alpakawolle herstellen, würde das Vlies auseinanderfallen», erklärt Evi Spycher, «deshalb gibt es eigentlich keine 100% Alpaka-Duvets.» In der konventionellen Herstellung werde mit Acrylfasern gearbeitet, die die Alpaka-Wolle «zusammenhalte». Die geringe Menge müsse nicht deklariert werden.
So entstehe bei den Endkund:innen der Eindruck, ein reines Naturprodukt zu kaufen, trotz Kunststoffanteil. Natura-Handwerk setzt dagegen auf die Mischung mit Schafwolle. «Die tollen Eigenschaften der Alpakawolle bleiben erhalten: der Wärmeausgleich im Sommer und Winter sowie die Eignung für Allergiker:innen», hält Werner fest.


Bild: Werner, Kurt und Evi arbeiten gemeinsam an der Wollverarbeitung.
Mittlerweile ist auch er hauptsächlich für die Wollverarbeitung im Einsatz. Den Landwirtschaftsbetrieb haben Spychers bereits 2021 an den zweitältesten Sohn Markus und dessen Frau Patrizia übergeben. Aber auch das Fortbestehen von «Natura-Handwerk» ist für die Familie ein zentrales Thema. Sohn Kurt will das Geschäft dereinst von den Eltern übernehmen, aktuell lernt er neben der Beurteilung der Wolle auch die verschiedenen Prozesse kennen – Wissen, das seine Eltern sich über Jahrzehnte hinweg erarbeitet haben.

Zahlen zur Wollproduktion
Schaf
Pro Schur und Tier ca. 2–3 kg Wolle
Alpaka
Pro Schur und Tier ca. 3 kg Wolle
Schafwolle Schweiz pro Jahr
650 Tonnen
Natura-Handwerk
Evi & Werner Spycher
Lischen 75a, 3635 Uebeschi bei Thun
Telefon 033 345 37 84
www.natura-handwerk.ch