In Russland geboren, mit neun Jahren in die Ukraine gezogen, seit rund 25 Jahren in der Schweiz – Elena Stauffer brauchte lange, um Wurzeln zu schlagen. Dass sie inzwischen eine Heimat hat, verdankt sie unter anderem der Malerei.
Text und Bilder: Rebekka Affolter

Den Kopf schief gelegt, der kritische Blick über den Brillenrand hinweg, ein Schritt zurück. Noch ist Elena Stauffer nicht zufrieden mit den Pinselstrichen auf der Leinwand. Flink mischt sie einen neuen Farbton, mit sicherer Hand ein paar Bewegungen, ein weiterer kritischer Blick, dann ein kurzes Nicken. Auf zum nächsten Werk.
Die Heimat im Bild
Hinter der Künstlerin stapeln sich die Leinwände – auf dem Boden, in den Regalen, an den Wänden. Noch leer, mit einer ersten Skizze, mitten im Malprozess oder auf den letzten Schliff wartend. Versteckt im Keller warten noch mehr Gemälde.
«Durch die Kunst habe ich mich selbst gefunden», erklärt sie. Es gab Zeiten in ihrem Leben, da fühlte sie sich «überall wie eine Exotin». Inzwischen definiert sie sich klar als Schweizerin. «Hier ist meine Heimat, meine Familie, hier kann ich endlich machen, was ich mein ganzes Leben lang wollte: Kunst.» Ölmalerei, um genau zu sein.

Was Kunst kann
Für Elena Stauffer hat das künstlerische Handwerk einen hohen Stellenwert. Sie drückt aus, «was man sonst nicht sagen kann – oder darf. Der Pinsel ist für mich eine Verlängerung der Seele». Die Bilder ein Spiegel ihrer Selbst. «Immer wieder schleichen sich Wurzeln in meine Bilder. Für mich stellten sie eine lange Zeit die Suche nach der eigenen Identität dar.»
Neben der Natur bildet Elena Stauffer auch Menschen ab – realistisch im Sinne der Gefühle. «Ich male die Personen nicht so, wie sie objektiv aussehen, sondern wie ich sie subjektiv wahrnehme.» Das zeigt sich auch in den verschiedenen Selbstporträts, die Elena Stauffer gefertigt hat: «Beim Blick in den Spiegel sehe ich anders aus – meine Bilder sind so, wie ich mich im Inneren fühle. Jedes Mal erkenne ich mich etwas mehr in meinen Porträts.»


Himmel auf Erden
Der kleine Wintergarten, gefüllt mit Farben, Pinseln, Paletten, grossen und kleinen Staffeleien, ist ihr Paradies. Nicht zuletzt, weil sie hier einen perfekten Blick in ihren Garten hat – eine grosse Inspiration für Elena Stauffer. «Es gibt nichts Schöneres, als etwas zu malen, das man selbst angepflanzt hat.» Grundsätzlich reicht ihr ein Blick nach draussen für das Malen neuer Bilder: «Das Licht, das auf das Dach fällt, der Liegestuhl der Nachbarn im Schatten – alles ist meine Muse.» Immer schön die Augen offen halten.
Bei Kunst in Thun kommt man um den Niesen nicht herum. Prominent ziert er zahlreiche Bilder von Elena Stauffer, bei Nacht, Nebel, ob realistisch oder expressionistisch, mit Pfingstrosen im Hintergrund oder weinend. «Mich fasziniert, wie dieselben Motive bei anderem Licht komplett anders aussehen.» Verschiedene Techniken fangen verschiedene Stimmungen ein.

Ein Sujet mit zahlreichen Facetten
«Grundsätzlich male ich am liebsten mit Ölfarben – so entstehen Bilder, die in 600 Jahren noch schön sein werden.» Neuere Materialien wie die Malpaste müssen sich erst noch beweisen. Trotzdem: «Ich will mich an allem ausprobieren.»
Was sie an ihrem Lieblingsmedium begeistert? «Die Ölmalerei ist für mich sehr lebendig. Der Terpentin-Geruch erinnert mich stets an die Werkstatt meines Grossvaters.» Generell sei ihre Familie für ihre Malerei sehr wichtig. Als ihr Schwiegervater einige ihrer Werke sah, meinte er: «Du musst malen und alles andere sein lassen.» Gesagt, getan. Viel und gerne. Meistens. Auch Elena Stauffer hat schon künstlerische Blockaden erlebt. Wie sie damit umgeht: «Medium wechseln.» Plastisch arbeiten, Ton in die Finger nehmen, häkeln – «ich betätige mich einfach auf andere Art und Weise kreativ.» Oder sie macht sich den Kopf frei: Ein Spaziergang in der Sonne hilft, die kreativen Geister auf Vordermann zu bringen. Zurück im Atelier blättert sie durch ihre Skizzenbücher, «damit ich weiss, was ich alles machen wollte». Der wichtigste Punkt: «Einfach anfangen. Wie Pablo Picasso sagte: Die Muse findet einen bei der Arbeit.»
Bild: Ein mit Malpaste gemaltes Bild, inspiriert von ihrem Garten – Elena Stauffer versucht sich auch immer an neuen Techniken.
Und wie fängt man an?
Einfach machen empfiehlt Stauffer auch Anfänger:innen. Sie selbst hat sich die Ölmalerei ebenfalls selbst beigebracht. «Die drei Grundfarben kaufen sowie Schwarz und Weiss und anfangen auszuprobieren.» Mit dem Pinsel, dem Malmesser, der Hand. «Allein mit unseren Fingern kann man sehr schöne Bilder machen», findet Elena Stauffer.
Aber Achtung: Es gibt einiges zu beachten bei diesem Medium. Allen voran das Trocknen. «Öl braucht länger als andere Farben. Will man über die Schicht malen, ohne sie zu vermischen, muss man das Gemälde eine Woche ruhen lassen.» Um den Schlussfirnis auf das Kunstwerk aufzutragen, muss man teilweise bis ein Jahr warten. Eine weitere Schwierigkeit für alle Künstler:innen: Aufhören, bevor das Bild zu schwer wird.
Dann aufhören, wenn es am besten ist – eine Weisheit für das Leben. Für Elena Stauffer kein Problem: Zahlreiche Skizzen hält sie in der Hand, bei denen sie findet: «Die gefallen mir eigentlich schon so.» Trotzdem wird etwas weitergemalt, die Leere zwischen den skizzierten Linien gefüllt. Das gemalte Bild stellt sie auf den Boden, die Staffelei leer, bereit für das nächste Meisterwerk. Zuvor gibt es einen Spaziergang durch das Grün, auf der Suche nach einer neuen Muse.
Der Werdegang einer Künstlerin
Bereits in ihrer Kindheit begeisterte Elena Stauffer mit ihren Bildern – Eltern, Verwandte Lehrer:innen. In jungen Jahren besuchte sie eine Kunstschule für Kinder.
Beruflich zog es sie zuerst in eine andere Richtung: Sie absolvierte eine Ausbildung zur Technologin Zuckerherstellung, darauf folgte das KV sowie eine Stelle in einem Produktionsbetrieb von Medizinaltechnik. Erst mit 32 Jahren besuchte sie zwei Jahre lang die Portfolio-Kurse an der Schule für Gestaltung in Bern, danach schloss sie die Ausbildung an der Kosmetikfachschule ab. Mit 40 Jahren entschied sie sich für ein Fernstudium in den bildenden Künsten (Zeichnen, Komposition und Malerei) an der Moskauer Universität. Nach vier Jahren schloss sie diese ab – und machte sich die Berufung zum Beruf.
Heute widmet sie sich täglich ihrer Kunst, das Atelier wurde zu ihrem Arbeitsplatz. Zudem arbeitet sie einen Tag pro Woche als Kosmetikerin in Bern. Ihre Kunst gibt sie auch weiter: Erwachsene können im Einzelunterricht die Kunst der Ölmalerei erlernen, für Kinder bietet sie inzwischen Gruppen-Kurse an.