Bernhard Luginbühl gilt als einer der wichtigsten Schweizer Eisenplastiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Thun sorgte eine seiner Skulpturen für einen Skandal.
Text: Dr. Jon Keller, Historiker | Bilder: Rebekka Affolter, Bernhard Luginbühl Stiftung

Bild: Die Skulptur, die für viel Gesprächstoff sorgte.
Er wurde 1929 in Bern geboren und verstarb 2011 in Langnau im Kanton Bern. Er absolvierte zunächst eine Lehre als Steinbildhauer und besuchte anschliessend eine Kunstgewerbeschule. Danach bildete er sich als Autodidakt zum Eisenplastiker aus. Auch als Grafiker und Filmemacher war er tätig. Seine meist respektabel grossen abstrakten Eisenkonstruktionen schuf er aus Material, das er auf Schrottplätzen und in stillgelegten Industrieanlagen fand. Daneben schmiedete er auch selbst Eisenteile. Mit der Zeit wurde Luginbühl ein sehr renommierter Künstler. So erhielt er 1956 das Eidgenössische Kunststipendium. 1967 wurde seine Plastik «Tell» auf der Weltausstellung in Montreal ausgestellt. Zweimal war er auch auf der Documenta vertreten (Documenta 3 und 6). Viele Werke Luginbühls sind heute im öffentlichen Raum zu bewundern. Dazu gehören etwa der «Silver Ghost» auf dem Areal der ETH Zürich oder die Eisenplastik «Lucerne en recul» im Bahnhof Luzern beim Gleis 3. In Erinnerung geblieben sind auch spektakuläre Verbrennungsaktionen grosser Holzkonstruktionen, wie beispielsweise die 24 Meter lange und zehn Meter hohe Holzplastik «Silvester» auf dem Berner Gurten an Silvester im Jahr 2000. Bekannt ist auch die jahrzehntelange, tiefe Freundschaft mit seinem Künstlerkollegen Jean Tinguely. Wer sich vertieft für die Werke von Luginbühl interessiert, dem seien das kleine Luginbühl-Museum im «Alten Schlachthaus» in Burgdorf und der Skulpturenpark in Mötschwil empfohlen, in dem viele seiner monumentalen Grossplastiken zu sehen sind.

Begrüssenswert und eine noble Geste
Wie kam es zum Kunstskandal in Thun wegen einer Skulptur von Bernhard Luginbühl? 1958/59 liess die Bauherrschaft Wüthrich/Waaghaus AG anstelle des alten Thuner Waaghauses einen Neubau errichten. Sie beabsichtigte, in Zusammenarbeit mit der Stadt, eine Plastik an der Ecke Marktgasse/Gerberngasse aufzustellen und somit für einen künstlerischen Schmuck in der Thuner Altstadt zu sorgen – ein grosszügiges und verdankenswertes Vorhaben. Für den Gestaltungsauftrag sprachen die Bauherrschaft 13000 Franken, der Thuner Gemeinderat (Kunstkommission) und der Kanton Bern (Kunstkommission) jeweils 5000 Franken. Unter drei damals bekannten und anerkannten Künstlern wurde ein Wettbewerb veranstaltet. Eingeladen wurden Serge Brignoni, Walter «Pips» Vögeli und Bernhard Luginbühl. Luginbühl siegte mit einstimmigem Beschluss und fand die Zustimmung aller Beteiligten, also der Bauherrschaft, der Stadt und des Kantons. Die städtische Kunstkommission war sich damals sehr wohl bewusst, dass die abstrakte, ungegenständliche Plastik für Gesprächsstoff sorgen würde. Ja, dass sie von einer breiteren Öffentlichkeit kaum goutiert werden würde. Nicht von ungefähr erhielt die Plastik bald den Übernamen «Büchsenöffner»!


«Hinterwäldlerisches» Kunstverständnis
Die Kunstkommission war der Meinung, dass viele Thuner damals ein «hinterwäldlerisches» Kunstverständnis hatten. Deshalb lancierte die Kommission eine gut fundierte Öffentlichkeitsarbeit, die allerdings nicht viel bewirkte, obwohl eindringlich um Toleranz und Verständnis für abstrakte Kunst geworben wurde.
Am 26. September 1962 fand schliesslich die Enthüllung der Plastik statt. Postwendend kamen viele Reaktionen, wobei sehr viele Einwohner Thuns die Skulptur ablehnten, ja, sie quasi verdammten. Die Redaktion des Thuner Geschäftsblattes, einer der damaligen Thuner Tageszeitungen, schrieb in einem Kommentar, dass ihr die Plastik an sich gut gefalle. Sie äusserte sich hingegen kritisch zum Standort an der Gerberngasse. Aufgrund der engen Platzverhältnisse würde das Kunstwerk von Luginbühl dort nur ungenügend zur Geltung kommen. Die in den damaligen zwei Thuner Tageszeitungen publizierten Leserbriefe stellten nur die Spitze des Eisbergs in Bezug auf die Empörung und vereinzelt auch Zustimmung vieler Bürgerinnen und Bürger dar.

Bild: Der renommierte Eisenplastiker Bernhard Luginbühl in seinem Atelier.
«Ä grosse Mischt»
So schrieb ein Tagblatt-Leser: «Die Kyburgstadt hat zu viel Geld. Sie weiss nicht recht, wohin damit. Drum wurd’ das Unding aufgestellt. Und weg ist auch der Kunstkredit.» Ein anderer Leserbriefschreiber äusserte seinen Unmut gar in einem Gedicht in Mundart. So konnte man lesen:
«Was tonners isch ächt das für ds Stettli aber ischs e Schang kei Tüfu cha ja das verstah, was dert tuet vor em Waaghuus stah, ischs ds Standbild vome Kommunischt? Uf all Fäll ischs e grosse Mischt.»
Auch die damals bekannte und traditionsbewusste Thunerin Züsi Jakob nahm mit einem «Offenen Brief» zur Luginbühl-Skulptur Stellung. Einige markante Ausschnitte daraus lauteten: «Was man in dir zu sehen glaubt, ist ein Büchsenöffner für eine Riesenhand. … Trost werden dir bringen, die kleinen, die grossen Hunde. Wirst du durchrosten und eines Tages standhaft für die Ehre unserer Stadt fallen? Man las viel über Contergan und Thalidomid in letzter Zeit. Dein Vater hat doch nicht?» Positiv zum Kunstwerk von Luginbühl äusserten sich nur wenige. So schrieb ein Leserbriefschreiber: «Einzig möchte ich meinem Verwundern darüber Ausdruck geben, dass wieder einmal etwas Anlass zu grossem Geschrei gibt, was andernorts nicht nur als selbstverständlich gilt, sondern sogar als Pflicht der Behörde betrachtet wird, nämlich die Förderung des zeitgenössischen Kunstschaffens.» Die Wogen der Empörung ebbten bald ab und die Skulptur fristete ein kaum beachtetes Dasein an der Gerberngasse, bis sie 2011 wegen baulicher Veränderungen am bisherigen Standort an den Uferweg in der Nähe der Kirche Scherzligen verlegt wurde. Dort steht sie noch heute.